Kinderfreundschaft:Der wertvollste Stein der Welt

Lesezeit: 2 min

Die 12-jährige Einzelgängerin Zonja trifft im Freibad auf den Jungen Mucks, der mit sich selbst Scrabble spielt. Ein besonderes Sommerabenteuer beginnt.

Von Verena Hoenig

"Ich stinke nicht und trage keine albernen Pullis. Aber die meisten Leute in meiner Klasse halten mich für eine Spinnerin." Kein Wunder, denn Zonja interessiert sich für absolut alles, sie liebt Statistiken und schwierige Wörter. Die 12-jährige Ich-Erzählerin hat sich mit ihrem Dasein als Einzelgängerin abgefunden.

Gerade haben die Sommerferien begonnen. Zonja will im Freibad Leute beobachten und Antworten auf Fragen finden, die sie immerzu sammelt. Auf ihrer aktuellen Liste steht zum Beispiel: "Was ist der wertvollste Stein der Welt?". Da sieht sie einen Jungen, der für sein Alter riesengroß ist, spindeldürr und mit gigantischen Segelohren ausgestattet. Zonja kommt er vor wie ein Außerirdischer. Der Junge spielt auf seinem Handtuch Scrabble mit sich selbst. Als er ins Becken geschubst wird und Zonja bemerkt, dass er nicht schwimmen kann, rettet sie Mucks. Das ist jedenfalls der Name, mit dem er sich ihr vorstellt. Fortan spielen sie zusammen Scrabble. Mucks ist neu in der Stadt, wohnt in einer Hochhaussiedlung, trägt zu kleine T-Shirts und kann fünf Pfannkuchen hintereinander essen. Er ist ein "Sterngucker" und würde gern einmal in den Weltraum fliegen, um sich die Erde von oben anzusehen. "Bestimmt fühlt sich das gut an. So weit weg von allem zu sein, meine ich." Einmal rennt er nur mit seiner grünen Badehose bekleidet durch die ganze Stadt.

Wie einen faszinierenden Forschungsgegenstand studiert Zonja den eigenartigen, wortkargen Jungen. Gleichzeitig genießt sie die Zeit mit ihm. Aber warum trägt er ein Pfefferspray bei sich, hat blaue Flecken am Körper und Schatten unter den Augen? "Irgendwas stimmt nicht mit Mucks. Irgendwas stimmt überhaupt nicht." Stück für Stück enthüllt sich der Grund für sein rätselhaftes Verhalten: Seine Mutter und er sind auf der Flucht vor dem gewalttätigen Vater. Diese Vorstellung muss erst einmal verkraftet werden, von Zonja, aber auch vom kindlichen Leser, der wie alle Kinder seinen Eltern normalerweise bedingungslos vertraut.

Eines Tages ist Mucks fort, ohne irgendeine Nachricht. Zonja wartet und weint und schreibt ihm herzzerreißende Briefe, die sie nicht abschickt, weil sie keine Adresse hat. Nach einigen Wochen schöpft sie wieder Hoffnung. Auch weil sie eine liebevolle Familie hat, der sie ihren Schmerz anvertrauen kann. Am Ende schickt Mucks ihr ein Scrabble-Spiel, auf dessen Rückseite steht: "Der vermutlich wertvollste Edelstein aller Zeiten ist der Kieselstein." So einen hat er Zonja seinerzeit geschenkt. Nun ist er zum Symbol ihrer unverbrüchlichen Freundschaft geworden.

Der Kinderroman Mein Sommer mit Mucks erstaunt, das soll das Werk einer Debütantin sein? Stefanie Höflers Geschichte schlägt den Leser von Beginn an in ihren Bann. Eindrücklich sind die unverbrauchten Szenen und Bilder, die die in Esslingen arbeitende Lehrerin und Theaterpädagogin gefunden hat. (ab 11 Jahre)

Stefanie Höfle r: Mein Sommer mit Mucks. Beltz & Gelberg 2015. 140 Seiten, 12,95 Euro.

© SZ vom 30.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: