Kinderfilmfest:Irrfahrten und Parallelwelten

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15 Filme aus aller Welt erzählen von abenteuerlichen Reisen in die Ferne und zu sich selbst. Mitunter bedarf es einer eigenen Entscheidung, welcher von zwei Welten man angehören will.

Von Barbara Hordych

Der 14-jährige Nathan ist verstört: Was dem autistischen Mathegenie auf einer Reise mit dem britischen Nationalteam nach Taiwan passiert, ist nicht rational zu erklären. Entgegen aller Wahrscheinlichkeit verliebt er sich in die Chinesin Zhang Mei. Gibt es tatsächlich keine Formel für die Liebe? Oder etwa doch? X + Y aus England ist das Spielfilmdebüt des Dokumentarfilm-Regisseurs Morgan Matthews; die Idee entstand durch seine Dokumentation Beautiful Young Minds über hochbegabte Teilnehmer an einer Mathematik-Olympiade. Im Mittelpunkt dieses wie auch vieler anderer der insgesamt fünfzehn Filme aus aller Welt, die Kathrin Hoffmann für das Kinderfilmfest auswählte, steht ein Junge: kein Superheld, kein Charmeur, eher ein unglücklicher, einsamer Anti-Held. Doch auch der kann seine Haut abstreifen und auf einer Reise in die Ferne Grenzen in seinem Inneren überschreiten.

So variieren auch die Beiträge des Kinderprogramms das diesjährige Festivalthema "Grenzüberschreitungen", indem sie von Übergängen zwischen Entwicklungsphasen erzählen - oder auch vom Übertritt kindlicher Protagonisten in eine Parallelwelt. Immer wieder wird der gefährliche Sog thematisiert, den Computerspiele und virtuelle Wirklichkeiten entwickeln können. Der Krimi Labyrinthus aus Belgien nimmt diese Vorstellung ganz wörtlich. In Douglas Boswells Spielfilmdebüt werden Kinder von einem gefährlichen Computerspiel geradezu absorbiert. Ein Fantasy-Realfilm, der sich gut vergleichen lässt mit Das Schicksal von Zyl von Juan Pablo Buscarini aus Argentinien, der mit dem Thema "Spiele" auf gleich mehreren Ebenen jongliert: Der zehnjährige Ivan Drago ist ein leidenschaftlicher Spieleerfinder, der gegen den Willen seines Vaters an einem Wettbewerb einer "Game Factory" teilnimmt und damit nicht nur das Verschwinden seiner Eltern auslöst, sondern auch selbst in einer bizarren Disneyland-Umgebung landet. Gleichzeitig ist es seine eigene Familie, die gemeinsam das Brettspiel "The Life of Ivan Drago" spielt . . .

Mitunter bedarf es auch einer eigenen Entscheidung, welcher von zwei Welten man angehören will. So entdeckt die sechsjährige Saoirse in dem Zeichentrickfilm Das Lied des Meeres aus Irland, dass sie in Wirklichkeit ein Seehundmädchen ist, das ihr Fell abgestreift und Menschengestalt angenommen hat. Nun muss sie sich zwischen zwei Daseinsformen, zwischen Land und Meer entscheiden. Der Film von Tomm Moore nach alten keltischen Sagenmotiven war für den diesjährigen Animations-Oscar nominiert. Abenteuerliche Reisen unternehmen auch die Helden der beiden Filme des deutschen Regisseurs Arend Agthe, die das Programm für Kinder einrahmen: Im Eröffnungsfilm Rettet Raffi! (2014) sucht der achtjährige Sammy seinen Hamster, der mitsamt dem Familienauto gestohlen wurde. Flussfahrt mit Huhn hingegen ist ein restaurierter Director's Cut des Kinderfilmklassikers von 1983, in dem vier Ausreißer mit einem Boot auf der Weser einen neuen Zugang zum Meer suchen. Und dabei ganz ungeahnte Entdeckungen machen.

© SZ vom 25.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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