Kinderbuch:Vom Himmel gefallen

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Peter Härtling: Djadi, Flüchtlingsjunge. Verlag Beltz & Gelberg, Weinheim 2016. 115 Seiten, 18,60 Euro (Foto: verlag)

Peter Härtling erzählt in "Djadi, Flüchtlingsjunge", wie ein Waisenjunge aus Homs in Frankfurt strandet.

Von Christoph Launer

In den Büchern Peter Härtlings tauchen immer wieder Menschen auf, die unfreiwillig unbehaust und zwangsläufig unterwegs sind: von Kriegen zur Flucht getrieben. "Zwettl", "Der Wanderer", "Krücke oder Reise gegen den Wind" stehen für diesen ausgeprägten Strang in seinen Erzählungen. Dass der Autor hier eigene Migrationserfahrungen und biografisch bittere, ja traumatische Erlebnisse eingearbeitet hat, ist weithin bekannt. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass sich der politisch ausgesprochen interessierte und engagierte Schriftsteller angesichts der weltweiten Fluchtbewegungen unserer Tage erneut diesem Thema verschreibt und mit "Djadi, Flüchtlingsjunge" auch noch dem eigenen "Lebensroman" ein aktuelles und authentisch motiviertes Kapitel hinzufügt.

Wieder ist es ein zerbrechlicher Junge, der in Härtlings Geschichte Herberge und Halt sucht. Überraschend ist allerdings die Konstellation, in die Djadi, ein annähernd elfjähriger Junge, der aus der syrischen Millionenstadt Homs stammt, als Vollwaise nach seiner Flucht kommt: Es ist nicht gerade die typische deutsche Durchschnittsfamilie mit zwei Kindern, Eigenheim, Golf und Golden Retriever, die hier aktive Willkommenskultur praktiziert. Aufgenommen wird Djadi von einer Frankfurter Wohngemeinschaft, in der drei Paare im Seniorenalter seit Jahren zusammen leben, ja man möchte fast sagen: zusammen durchs Leben wackeln. Mit Jan und Dorothea, Wladi und Kordula und den Eheleuten Detlev und Gisela Knorr hat der Junge auf einmal sechs ältere Menschen um sich, für die der Gang zur Apotheke und zum Arzt wohl längst Routine sind, und die nicht nur deswegen die Erwartungen an eine Pflegefamilie eher unterlaufen. Eine Situation, die ihnen ziemliche Schwierigkeiten mit den Ämtern und den offiziell Verantwortlichen bereitet.

Und doch funktioniert das Zusammenleben ganz gut, nicht reibungslos und ohne Schwierigkeiten, aber es glückt, Tag für Tag mehr. Vor allem in Wladi, der erkennbar Züge des Autors aufweist und mit dem Jungen ein ähnliches Schicksal teilt, findet Djadi eine Bezugsperson, die ihm dabei hilft, in Frankfurt anzukommen, die Sprachlosigkeit nach und nach zu überwinden und mit dem, was sich da in der Kinderseele an Traumata und Ängsten angesammelt hat, irgendwie klar zu kommen.

In "Djadi, Flüchtlingsjunge" entwirft Peter Härtling psychologisch sehr behutsam mit leisem Humor und Gefühlen das Modell eines beginnenden Integrationsprozesses vor dem Hintergrund der bundesrepublikanischen Wirklichkeit. Es ist schon bestechend, wie Härtling, oft nur mit wenigen Worten und Sätzen, die Härte und komplexe soziale Realität in ein Kinderbuch packt und durch eine klare und bildstarke Sprache maximale Atmosphäre entfaltet, nicht zuletzt in jenen Passagen des Buches, in denen der Autor skizziert, wie sich der Hass auf alles Fremde, auf die "Scheißaraber", zu verfestigen droht.

Dass Peter Härtling auch in diesem Buch für junge Leser nichts verklärt, zeigt auch der Schluss. Die Geschichte endet für Djadi mit einer weiteren Verlusterfahrung. Die Zukunft des Jungen ist ungewiss, auch wenn ihm Hoffnung bleibt. Aber "Djadi, Flüchtlingsjunge", so viel ist gewiss, erzählt auch und gerade zwischen den Zeilen von der Utopie, in der Fremde aufgefangen zu werden und vielleicht Heimat zu finden. (ab 10 Jahre und für Erwachsene)

© SZ vom 18.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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