Katalanische Literatur:Weder Rot noch Schwarz

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Joan Sales' Roman "Flüchtiger Glanz" über den Spanischen Bürgerkrieg, ein moderner Klassiker, ist endlich auch auf Deutsch zu entdecken.

Von Alex Rühle

Dieser Roman hat eine so verworrene wie schwierige Entstehungsgeschichte, die ihm jedoch am Ende zugutekam. Francos Zensoren wollten "Flüchtigen Glanz" wegen seiner angeblich "häretischen Ideen" und seiner "obszönen Sprache" zuerst ganz verbieten lassen. 1956 brachten sie es dann in einer stark verstümmelten Version heraus. Andere Autoren hätten ihr Buch aufgegeben. Nicht so Joan Sales: Der katalanische Dichter, Übersetzer und Verlagsgründer arbeitete unverdrossen weiter an diesem Epos, das vom Spanischen Bürgerkrieg aus der Sicht der republikanischen Verlierer erzählt, sodass bis zu Sales' Tod im Jahre 1983 zehn Versionen auf Katalanisch erschienen sind.

Wobei man damit schon zum Kern kommt, zur Kraft dieses Buchs, das eben nicht durch die ideologische Schießscharte eines einzelnen Freiheitskämpfers die Welt in Gut und Böse unterteilt. Sales, der den Bürgerkrieg selbst zuerst auf Seiten der Anarchisten, dann der Republikaner miterlebt hat, lässt Juli Solares, den heimlichen Helden seines Romans, in einem Folgeband einmal über die Werke von Hemingway, Orwell, Bernanos und Malraux spotten, die das Kriegsgeschehen auf die eine oder andere Weise allesamt mythisch verklärt hätten: "Was diesen Krieg angeht - du wirst schon sehen, was für Romane die Ausländer daraus machen werden. Riesigen Quatsch, der sich aber hervorragend verkaufen wird. Ist ja auch verständlich: Wenn du versuchst, dieses Chaos einem Ausländer zu erklären, wird er es nicht verstehen. Nicht dass wir es sehr viel besser verstünden, aber wir haben wenigstens eine Ahnung davon, wie kompliziert das Ganze war."

Joan Sales (1912-1983) war Schriftsteller und Übersetzer. Im Bürgerkrieg kämpfte er auf beiden Seiten. 1938 verließ er Spanien, ging ins Exil. (Foto: Arxiu Joan Sales / Joan Sales-Archiv)

Man könnte auch sagen: Dass dieses Buch erst so spät Furore macht, liegt an seiner radikalen Ehrlichkeit. Ein kommunistischer Held, und das Ganze hätte sich wunderbar verkauft im Spanien der Post-Franco-Zeit. Oder wenigstens ein heroischer Katalane. Dann wäre Sales sofort der ewige Gewährsmann aller Independistas in Barcelona und Umgebung gewesen. Stattdessen bekommen wir vier hochkomplexe Charaktere vorgesetzt, die diese grausamen, chaotischen, wilden Jahre aus ihrer jeweiligen Sicht erzählen.

Im ersten Teil schreibt der junge Atheist Lluis de Broca Briefe von der Front an seinen Bruder. Ursprünglich hatte er sich den Anarchisten angeschlossen, mittlerweile aber ist er auf Seiten der Republikaner in einem kleinen Nest namens Olivel de la Virgen gestrandet. An seiner Front ist gar nichts mehr los, aber er stolpert mit schreckgeweiteten Augen durch die zerstörte Landschaft, gebrandschatzte Klöster, Skeletthaufen . . . Ein skeptischer Suchender, aufgebrochen, um für die ganz große Sache zu kämpfen, der jetzt allein ist mit der Frage, wie man sein ganz kleines Leben halbwegs richtig lebt. In diesen Anfangskapiteln zeichnet der Roman ganz nebenbei ein großes Porträt des ländlichen Spanien. Nicht im bukolischen Sinne, im Gegenteil, der aus Barcelona kommende Lluis beschreibt geradezu fassungslos die primitiven und reaktionären Zustände in den Dörfern, dumpfer Hass auf alles Fremde, Frauen, die aus der Dorfgemeinschaft ausgestoßen werden. . .

Das mittlere Großkapitel dieses Triptychons wird erzählt aus der Sicht der jungen Geologin Trini, die mit Lluis einen gemeinsamen Sohn hat, ohne mit ihm verheiratet zu sein. Sie sitzt sie mit diesem Kind alleine in Barcelona, wartet auf Nachrichten von Lluis und schreibt dessen schon erwähntem Freund Juli Solares, einem quecksilbrigen Menschen, der überall auftaucht und wieder verschwindet und die faszinierendste Figur dieses Romans ist. Auf die eine oder andere Weise lieben ihn alle, die hier zu Wort kommen, für seine geistige Freiheit und Unbestechlichkeit. Trinis Briefe kommen aus dem Zentrum des Krieges, die Luftangriffe auf Barcelona, der Hunger, das allgegenwärtige Misstrauen, die Jagd auf den Klerus bilden das dunkle Hintergrundpanorama ihrer Briefe.

In seiner skeptischen Emphase erinnert Sales an Albert Camus

Den Ausklang des Romans bilden die Erinnerungen des Priesters Cruells, verfasst im Nachhinein, was Sales die Möglichkeit gibt, den Krieg, den Lluis so unmittelbar erlebt, noch mal aus der zeitlichen Distanz zu schildern und nachzureichen, was aus all den Figuren später geworden ist.

Ein alter Aristokrat sagt einmal zu Trini, hätte er Talent wie Stendhal, würde er gerne ein Buch mit dem Titel "Weder Rot noch Schwarz" schreiben. Sales, der Stendhal genauso zu seinen Hausgöttern zählte wie Dostojewski und Kierkegaard, hat den Titel seines Buches - "Flüchtiger Glanz" - einer Shakespeare-Zeile entnommen, die er wiederum in Stendhals großem Kriegsroman gefunden hatte: "O, how this spring of love resembles / The uncertain glory of an April day / Which now shows all the beauty of the sun,/ And by and by a cloud takes all away!"

Joan Sales: Flüchtiger Glanz. Roman. Aus dem Katalanischen von Kirsten Brandt. Carl Hanser Verlag, München 2015. 576 Seiten, 26 Euro. E-Book 19,99 Euro. (Foto: verlag)

Dieser flüchtige Glanz, die Sehnsucht nach dem erfüllten Leben, ist das eigentliche Thema des Buches. Da es keinen alles überwölbenden metaphysischen Sinn mehr gibt, die großen Ersatzideologien sich als verlogen erweisen - Anarchisten metzeln Kommunisten nieder, Antifaschisten schlagen wehrlose Priester tot - bleibt nur die Jagd nach dem nunc stans, dem gesteigerten, entgrenzten Erleben, sei es in der Natur, der Kunst oder in der Begegnung mit einem Menschen. Interessanterweise verzichtet Juli Solares, der klügste Charakter in diesem Roman, selbst aufs Schreiben und setzt alles auf das Gespräch, in dem die Wahrheit momentweise aufscheint: "Das Wichtigste bei einem Gefühl, weißt du, ist es, in fremden Augen zu lesen." Dieser Joan Sales war der vielleicht engste Verwandte von Albert Camus.

© SZ vom 13.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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