Jugendroman:Was geht, Mann?

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Debüt mit autobiografischen Zügen: Autor Jason Reynolds. (Foto: Dana Roc)

Jason Reynolds' Debütroman über einen Ali aus Brooklyn, der auch mal der Größte sein will.

Von Siggi Seuss

Als säße man neben Allen "Ali" Brooks auf der obersten Stufe des alten Brownstonehauses und lauschte seinen Erzählungen, während ein paar Meter weiter unten, auf der Straße, das Leben vorbeirauscht. Schneller als vermutet wird man hineingezogen in den Debütroman des jungen schwarzen Autors Jason Reynolds über das Leben in einem von Schwarzen bewohnten Block in Brooklyns Stadtviertel Bedford-Stuyvesant. Für die Leser von Coole Nummer - Als ich der Größte war verflüchtigen sich bald sämtliche Hautfarben. Man fühlt sich als Teil einer wahrhaftigen Geschichte und nicht als Bustourist auf Sightseeingtour zu den sozialen Brennpunkte Brooklyns.

Der fünfzehnjährige Ali nimmt uns Leser ohne Umschweife und ohne jedes Misstrauen an der Hand und führt uns freimütig zu Malloy, seinem alten Boxtrainer, ins quirlige Treiben auf der Ladenmeile an der Atlantic Ave/Ecke Courtstreet, in Brothers Frisiersalon, zu einer abgefahrenen Fete im besseren Teil des Viertels jenseits von Decatur Street und Lewis Avenue, und zu kleineren und größeren Anekdoten aus seinem Leben. Vor allem aber öffnet er die Türen zu seiner Wohnung, die er mit seiner Mom, einer taffen Sozialarbeiterin mit zwei Jobs, und seiner gewitzten elfjährigen Schwester Jazz teilt. So wie er uns über die zerrüttete Beziehung zwischen seiner Mom und seinem Dad - einem nicht unsympathischen Kleinkriminellen - ins Vertrauen zieht, erzählt er auch vom miesen Leben seines besten Freundes und dessen Bruder, der unter dem Tourettesyndrom leidet. Die beiden hausen, von der Mutter vernachlässigt, im heruntergekommenen Nachbarhaus.

Das Milieu lebt aus den Erfahrungen des realen Lebens, in das uns Reynolds durch seinen Ich-Erzähler Ali führt. Ein Milieu, in dem sich banales und normales Alltagsgeschehen in der engen Welt eines Häuserblocks mit brutalen, tragischen, hoffnungslosen Ereignissen und Zuständen vermischt und verstrickt. Das Wunderbare an der Geschichte von Reynolds ist, dass nicht eine der klischeebeladenen schwarzen Gangsta-Rap-Stories entsteht, sondern das Gegenteil. Der Roman ist, trotz der steten Präsenz von drohendem Unheil und ausweglosen Verhältnissen, eine herzensgütige, ja heitere Hymne an die Hoffnung. Die Geschichte erinnert an einen Mut machenden, endlosen Rap, der von der obersten Stufe eines Brownstonehauses in irgendeinem schwarzen Viertel New Yorks ins Freie fliegt, wie einst Leonard Bernsteins Melodien aus den Häuserschluchten der West Side. Er reißt einen auch durch den Rhythmus seiner Sprache mit, durch seine "Yos" und "Jeps" und "Heys" und "Was geht, Mann", die der Erzählung des sensiblen, gewitzten und gelegentlich von seinem Gewissen geplagten jungen Mannes im richtigen Augenblick den richtigen Groove geben. Bewundernswert, wie Klaus Fritz diese leidenschaftliche Sprachmelodie ohne Reibungsverlust ins Deutsche überträgt.

Was aber ist das Geheimnis der optimistischen Grundstimmung des Buches? Es ist die Glaubwürdigkeit der Motive des Erzählers. Jason Reynolds' Ali - mit autobiografischen Zügen des Autors - ist ein lebensbejahender, neugieriger junger Mensch, weil er sich der Quellen einer substantiellen Geborgenheit sicher sein kann: Er wird von Eltern und Schwester geliebt, seine Mom ist verantwortungsbewusst, verlässlich, couragiert und vom Willen beseelt, sich nicht unterkriegen zu lassen. Wie sonst, wenn nicht so, könnte man die raue Welt von Bedford-Stuyvesant oder Wo-auch-immer menschenwürdig überleben? (ab 13 Jahre)

Jason Reynolds: Coole Nummer. Als ich der Größte war. Aus dem Englischen von Klaus Fritz. dtv, Reihe Hanser 2015. 260 Seiten, 14,95 Euro.

© SZ vom 08.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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