Jugendkrimi:Sonne hoch, Sonne runter

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Die Berliner Autorin Kirsten Fuchs schickt eine "Mädchenmeute" in den Ferien ins Erzgebirge.

Von Antje Weber

Der Wald will nichts von Dir. Du willst was vom Wald." Das stand auf dem Umschlag, der die Zusage brachte. Die Zusage zu einem Ferien-Fun-Survival-Camp, das Charlottes Mutter für sie ausgesucht hatte. Wollte Charlotte was vom Wald? Nein, wollte sie nicht. Immerhin: besser als wieder nur zu Oma fahren.

Doch jetzt steht Charlotte hier, mitten im Wald, mitten in der Nacht, und das Abenteuer ist so groß, so dermaßen viel größer, als sie es sich je hätte ausmalen können. Sie wandert mit einer Gruppe von Mädchen durch die Fichten im Erzgebirge, auf der Suche nach einem alten Stollen zum Übernachten; die Leiterin des Camps haben sie da längst hinter sich gelassen, vielleicht ist sie tot. Die sieben Mädchen haben sich davongemacht, sie haben ein Auto geklaut, in dem Hunde einer ungewissen Zukunft harrten, und jetzt hält also jedes Mädchen einen Hund an einer Kordel und schleicht durch die Finsternis. "Ich wollte schreien", heißt es von Charlotte. "Ich wollte schreien, dass ich noch nie so aufgeregt gewesen war. Das war ein Achterbahn-Riesenrad-Abenteuer. Ein Wald mit Rutsche und Trampolin. Man müsste nachts Eintritt nehmen."

Ist Mädchenmeute von Kirsten Fuchs also das ideale Buch für tierliebe Pfadfinderinnen? Mag sein. Vielleicht aber auch für coole Stadtgören, die nur von der Wildnis träumen. Und die liegt, das weiß man spätestens seit Wolfgang Herrndorfs Tschick, ja gleich nebenan. Fuchs, geschult an Berliner Lesebühnen, kennt natürlich die Zutaten, die angeblich einen erfolgreichen Jugendroman ausmachen: ein bisschen Herrndorfsche Road-Novel, ein bisschen Wilde Hühner, ein bisschen explosive Gruppendynamik à la Herr der Fliegen. Diese Coming-of-Age-Geschichte mit Krimi-Anflügen und viel Waldgewichtel wirkt allzu sichtbar konstruiert, und dramaturgisch hat Fuchs die immer abstrusere und dabei seltsam langatmige Geschichte auch nur so gerade im Griff.

Trotzdem ist dies ein lesenswertes Buch. Denn hier ist eine junge Schriftstellerin am Werk, die einen eigenen Sound hat, und das ist schon bemerkenswert. Die schnodderige Sätze von schlichter Schönheit schreiben kann, Sätze wie "Die Tage waren gut. Sie vergingen eben so. Sonne hoch, Sonne runter." Oder: "Genau in dem Moment traf mich das Glück. Es schwirrt ja immer rum und saust wie ein unentdecktes Atom durch die Leute. Jetzt hatte es mich gefunden." Eine Autorin, die zudem ein feines Gespür besitzt für die widersprüchlichen Gefühle einer pubertierenden 15-Jährigen, deren Nase aussieht wie der Griff einer Gießkanne und die so schüchtern ist, dass sie anderen ihre Ideen nur zuflüstert.

Natürlich lernen Charlotte und die anderen Mädchen fürs Leben, und natürlich muss so ein Sommer trotzdem zu Ende gehen, muss die Girlgroup den Wald verlassen und sich den Zumutungen der Zivilisation stellen. Und über den Fichtenwipfeln des Erzgebirges ist fast wieder Ruh.

(ab 14 Jahre)

Kirsten Fuchs: Mädchenmeute. Rowohlt 2015. 463 Seiten, 19,95 Euro.

Kirsten Fuchs: Mädchenmeute. Rowohlt 2015. 463 Seiten, 19,95 Euro. (Foto: root; verlag)
© SZ vom 07.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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