Jubliläum:Der Unbestechliche

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Ken Loach kämpft für die Schwachen - und findet das nötiger denn je. (Foto: Daniel Leal-Olivas/AFP)

Ken Loach, das soziale Gewissen des britischen Films, wird achtzig Jahre alt - und hat mit "I, Daniel Blake" gerade erst wieder die Goldene Palme von Cannes gewonnen.

Von Susan Vahabzadeh

Es gibt etwas, witzelt einer von Ken Loachs Söhnen, worüber in der Familie keiner reden darf: Dass der Vater einmal Werbespots für McDonald's gedreht hat, Anfang der Neunzigerjahre, als das Geld so knapp war, dass er sonst sein Haus hätte verkaufen müssen. Die Szene kommt im Dokumentarfilm "Versus: The Life and Films of Ken Loach" vor, der gerade in England läuft. Er habe, sagt Loach, ein richtig schlechtes Gewissen wegen der Spots.

Es gibt wahrscheinlich keinen anderen Filmemacher, der ohne Not mit sich selbst ins Gericht gehen würde, nur weil er etwas des Geldes wegen getan hat - aber das ist eben das Besondere an Ken Loach. Er war und ist, über dreißig Kinofilme und ein paar Dutzend Fernsehspiele hinweg, das soziale Gewissen des britischen Films, der Mann, der die Realität am Rande eines Klassensystems sichtbar macht. So einer darf dann natürlich nicht Wasser predigen und Cola trinken.

Loach, am 17. Juni 1936 in Warwickshire geboren, hatte zunächst in Oxford Jura studiert und die Konservativen gewählt - ins Filmemachen sei er, sagt er, eher "hineingestolpert". Als die BBC Mitte der Sechzigerjahre ihr sehr theatralisches Programm renovierte, gehörte er zu den jungen Regisseuren, die es gehörig aufmischten - mit Dokudramen über Menschen aus der Arbeiterklasse, meist im Konflikt mit Staat und Behörden. In den Swinging Sixties, während auf dem Kontinent die Nouvelle Vague sich auf den Leinwänden austobte, war Loach kein Außenseiter - ein Film wie sein Kinodebüt "Poor Cow / Geküsst und geschlagen" (1967) passte gut zum Zeitgeist. Es geht da um eine junge Frau, die bei einem gewalttätigen Kleinkriminellen bleibt, ihres kleinen Sohnes wegen, und weil sie keine Alternative findet. 15 Jahre später machte Loach immer noch Filme über die Leute, die der ökonomische Wandel übersehen hatte; nur war Großbritannien inzwischen Margaret Thatchers Reich. Und Loach galt als verkrusteter, humorloser Altlinker, der nicht davon lassen wollte, mit seinen Filmen zu predigen.

Das stimmt so nicht, und inzwischen ist er nicht nur rehabilitiert, sondern längst auf dem filmischen Olymp angekommen - als einer der wenigen Filmemacher, die tatsächlich zwei Goldene Palmen in Cannes gewonnen haben. Die zweite hat er gerade im vergangenen Monat bekommen, für "I, Daniel Blake", einen Film, der erneut das britische Sozialsystem ins Visier nimmt. Aber die vermeintliche Verkrustung war immer schon störrisches Mitgefühl, und er hat eine eigene Kunstform daraus gemacht, die weit mehr ist als die britische Variante des sozialistischen Realismus, die man ihm unterstellte. In "Bread & Roses" (2000) etwa, mit Adrien Brody als Gewerkschaftsmann, gibt es Momente des Arbeitskampfs, die reiner Slapstick sind; oder "My Name is Joe" über einen arbeitslosen Alkoholiker - das ist ein warmherziges und einfühlsames Porträt eines verzweifelten Mannes. Oder die komische Verzweiflung des Postlers in "Looking for Eric", dem Fußball alles bedeutet, weil sonst alles nichts ist. In charmanten Visionen erscheint ihm die Manchester-United-Legende Eric Cantona. Natürlich sind das politische Filme, sagt Loach - weil überhaupt alles immer politisch ist. Dass sein Kino seine Haltung spiegelt, findet er richtig. Kritisiert wird das, sagt Loach, meist von Leuten, die diese Haltung nicht teilen.

Wenn Ken Loach, der seit ein paar Jahren über jeden seiner Filme sagt, es werde der letzte sein, inzwischen dann doch als Meister seines Fachs gilt, liegt das aber auch daran, dass er einen eigenen Blick auf die Welt gefunden hat, den er perfekt inszeniert. Wie am Anfang von "The Angel's Share" (2012): Da geht es um einen Trupp straffällig gewordener schottischer Kids, man sieht ihre Verfehlungen, Papageienklau beispielsweise. Man könnte diese vier schrägen Typen als Idioten zeigen, für die einfach kein Platz ist in der Welt.

Aber Loach schaut auf sie ohne jede Überheblichkeit, Bitterkeit oder Besserwisserei. Sie sind liebenswerte Figuren, und wenn es keinen Platz für sie gibt, muss man eben einen schaffen. Vielleicht bekommt man eine solche Perspektive überhaupt nur hin, wenn man die nötige Altersweisheit gesammelt hat. Heute wird Ken Loach achtzig Jahre alt - und ist zwar nicht mit der Welt, aber immerhin mit sich selbst im Reinen.

© SZ vom 17.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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