100 Jahre Verdun:Schlacht und Haus

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Der vom Architekturbüro Brochet-Lajus-Pueyo (Bordeaux) entworfene Umbau der Gedenkstätte wurde in Verdun feierlich eröffnet. (Foto: Jean-Christophe Verhaegen/AFP)

Die Gedenkstätte von Verdun wurde als Ort zwischen Erinnern und Begreifen umgebaut, erweitert - und nun feierlich wiedereröffnet.

Von Joseph Hanimann

Auch beim Aushub für die neuen Seitenflügel des Gebäudes sind wieder menschliche Überreste zum Vorschein gekommen. Solange die Erde noch Tote behält, kann die Verwandlung von der Gedenkstätte zum Museum nicht abgeschlossen sein. Begonnen hat sie in Verdun jedoch seit Langem. Schon den Touristen der Zwischenkriegszeit mussten neben Ergriffenheit auch Grundkenntnisse und Anschauungsmaterial zur dramatischsten Schlacht des Ersten Weltkriegs geboten werden, um sie davon abzuhalten, den einen oder anderen Totenkopf als Souvenir mit nach Hause zu nehmen. Den Satiriker Karl Kraus hat das 1921 zu einem bissigen Text veranlasst. Das Ganze werde nur veranstaltet, schrieb er, dass einmal, "wenn von der Glorie nichts geblieben ist als die Pleite, wenigstens ein Schlachtfeld par excellence vorhanden sei".

Ein solches ist die Gegend um Verdun bis heute: neben Stalingrad ein Inbegriff für die Kriege des vergangenen Jahrhunderts. Und hundert Jahre nach Beginn der Schlacht hat sich der Schwerpunkt zwischen Erinnern und Begreifen aufs Neue verschoben. Nach Abschluss eines Um- und Ausbaus ist der Ort am Sonntag wiedereröffnet worden. Mitterrand und Kohl hatten dort 1984 Hand in Hand eine berühmte Ikone der Aussöhnung geschaffen und auch Merkel und Hollande wollen sich im Mai dort zu einer Zeremonie treffen.

"Mémorial de Verdun", steht unverändert auf der Frontseite des neoklassizistischen Baus aus den Sechzigerjahren, der direkte Sichtverbindung zum berühmteren und markanteren Beinhaus von Douaumont gewährt. Ab 1920 mit Spendengeldern gebaut und 1932 eingeweiht, steht dieses Beinhaus ein paar Hundert Meter weiter auf dem Hügel, der die meisten der 300 000 an diesem Ort Gefallenen in der zerlöcherten Erde noch in sich birgt. Im Inneren des Mémorials hingegen hat eine neue Etappe der Geschichtspräsentation begonnen.

Nach der persönlichen Erinnerung für angereiste Kriegsveteranen und der Erbauung für Geschichtspatrioten ist in den umgestalteten Ausstellungssälen ein neuer Schwerpunkt ins Blickfeld gerückt. Fortan geht es primär um die Idee einer aus Erbfeindschaft im Kampf geläuterten Schicksalsgemeinschaft zwischen Deutschland und Frankreich. Die für solche Museen üblichen Exponate - Fotos, Briefe, Uniformen, Kriegsgerät - suggerieren allesamt dieses eine, dass das Schlacht-Hurra beidseits der Front längst verstummt war, als im Februar 1916 die Feuerhölle über Verdun niederzugehen begann, und dass diese Männer in einer Mischung aus Fatalismus, Erschöpfung und vager Hoffnung aufs Kriegsende ausharrten.

Für die schweren Wagenkolonnen, die während jener Zeit monatlich 400 000 Soldaten und eine halbe Million Tonnen Material nach Verdun beförderten, war bisher im Museum so wenig Platz wie für die Zeugnisse des deutschen Kriegsalltags auf der anderen Seite der Front. Diese sind nun reichlich vertreten und kommen teilweise aus dem Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden. Der vom Architekturbüro Brochet-Lajus-Pueyo (Bordeaux) klug umgestaltete Bau bietet für die zweitausend Exponate den geeigneten Raum, mag auch die Präsentation sich mitunter in Redundanz verlieren.

Dennoch bleibt Verdun vor allem ein französischer Erinnerungsort. 75 Prozent der französischen Soldaten haben in Verdun gekämpft. So konnte sich der Name der kollektiven Erinnerung förmlich einbrennen. Die 60 Millionen Einschläge haben das Gebiet in eine Kraterlandschaft verwandelt und von den Wäldern keinen Baum stehen lassen. Andere Schlachten wie jene an der Somme waren verlustreicher an Menschenleben. Nirgendwo sonst ist aber auf so engem Raum so viel Verwüstung angerichtet worden. Der französische Staat erwarb nach dem Krieg das Gelände längs der Front. Im Kraterboden ist ein Wald nachgewachsen.

Verdun sei, wie später Auschwitz, ein Symbol dafür, wie die Grenze des Menschseins unterschritten werden könne, schrieb der Historiker Antoine Prost. Gleichzeitig eigne sich der Name aber auch als Quintessenz französischer Kollektiverinnerung, denn weder sei damit ein Triumph noch eine Niederlage verbunden. Stattdessen gehe es um eine Art pazifistischen Sieg - das Revolutionsideal von 1789 unter dem Banner Napoleons. Letzteres verblasst nun etwas mit der Neueröffnung des Mémorials.

© SZ vom 22.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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