Interviews:Bandleader Erich Honecker

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Abbildung aus Julia Balogh und Birgit Murke (Hrsg): Geteilte Ansichten. Jugendliche stellen Fragen zur deutschen Einheit. (Foto: N/A)

Jugendliche befragen Persönlichkeiten über ihre Kindheit und Jugend in der DDR .

Von Roswitha Budeus-Budde

"Heute weiß nur noch jeder fünfte Schüler, wer Erich Honecker war, sie meinten, er sei ein Bandleader gewesen", erzählt Rainer Eppelmann den jungen Leuten, die ihn interviewen. Er ist einer von 17 Zeitzeugen, vorwiegend aus der DDR, von Oppositionellen, Autoren, Politikern, Künstlern und Sportlern, die von jungen Reportern der "Literatur Initiative Berlin" nach ihren Kindheits- und Jugenderinnerungen in der DDR, nach ihren Eindrücken beim Mauerfall und ihren heutigen Erfahrungen im wiedervereinigten Deutschland befragt wurden.

Klaus Kordon, Katja Lange-Müller, Ines Geipel, Sten Nadolny, Claudia Rusch oder Hanna Schygulla gaben bereitwillig und manchmal auch in überraschenden, oft sehr privaten Antworten Auskunft. Denn ihre Erfahrungen mit der politischen Realität waren sehr verschieden. So erinnert sich die Autorin Katja Lange-Müller an ihre schwierige Schulzeit als aufsässige Schülerin. Mit 16 Jahren wurde sie wegen unsozialistischem Verhalten von der Schule gewiesen, nachdem sie sich geweigert hatte, öffentlich Selbstkritik zu üben. Doch sie antwortet auch auf die Frage, ob die Bürokratie in der DDR wirklich so schlimm gewesen sei: "Es kommt darauf an. Wenn man sich nicht weiter bemerkbar gemacht hatte, wenn man nicht anfing, Fragen zu stellen, sich dissidentisch zu betätigen, dann ging es einem ganz gut." Doch wenn man das nicht schaffte, wie sie oder andere der Befragten, wurde man Opfer des Geheimdienstes.

Nach einem Fluchtversuch saß der Autor Klaus Kordon im Gefängnis und dokumentierte später die Gräueltaten des Regimes in seiner beeindruckenden Autobiografie "Das Krokodil im Nacken". Oder die Sportlerin Ines Geipel, die Opfer des "Zersetzungsplans" des Geheimdienstes wurde und heute das Dopingsystem anklagt: "Es gab eine Tablettenkultur im DDR-Sport, aber ohne jede Information der Athleten. Ein kriminelles System, ein schwerer Missbrauch an vielen jungen Talenten, ja, ein riesiger Menschenversuch." Natürlich finden sich auch immer wieder Spuren von "Ostalgie", sind die Erinnerungen mancher Befragten mit einer glücklichen Kindheit verbunden, in einer Gesellschaft, die sich vermeintlich durch mehr Gemeinschaftsgefühl auszeichnete als die heutige Bundesrepublik.

Dass Geschichte nicht nur im Unterricht stattfindet, sondern von Menschen gelebt wird, betont auch die geschickte Aufmachung des Bandes. Fotos aus der Geschichte der DDR, kurze Sachinformationen, die Begriffe wie "Kombinat", die Funktion des "Ministerium für Staatssicherheitsdienst" oder das Schulsystem erklären, unterbrechen die Interviews. (ab 13 Jahre)

Julia Balogh, Birgit Murke (Hrsg.): Geteilte Ansichten. Jugendliche stellen Fragen zur deutschen Einheit. Ueberreuter Verlag GmbH, Berlin 2015. 176 Seiten, 9,95 Euro

© SZ vom 19.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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