Internet:Loop des Lebens

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Facebook hat neben seinem Berliner Büro ein "Digitales Lernzentrum" für wohltätige Zwecke und benachteiligte Kinder eingerichtet. Was wird dort unterrichtet?

Von Michael Moorstedt

Sein Berliner Büro hat Facebook zwischen Sony Center und Tiergarten. Die Lage ist ausreichend repräsentativ und doch so unscheinbar, dass jede Briefkastenfirma neidisch wäre. Nichts macht auf die Präsenz des größten sozialen Netzwerks der Welt besonders aufmerksam, beim ersten Besuch läuft man beinahe an dem schlichten Treppenaufgang vorbei. Ist man dann einmal drin und oben, im 7. Stock, offenbart sich eine gute Aussicht auf Reichstag und Regierungsviertel.

Dort hat neben den täglichen Geschäften auch das von Facebook gegründete "Digitale Lernzentrum" seinen Sitz. Es soll ein Ort der Begegnungen sein, "an dem verschiedenste Menschen zum Erlernen digitaler Fähigkeiten zusammenkommen". Sechs Wochen nach dem Start ist noch vieles im Aufbau begriffen. Frisch versiegeltes Parkett, goldbemusterte Tapeten, transparent will man sein, die Mitarbeiter sind fast schon verstörend freundlich. Da stören die Poster mit den üblichen Silicon-Valley-Motivationssprüchen eher, "Move fast" oder "We shall overcome" steht an den Wänden.

Zur Eröffnung war Mitte Januar eigens Facebooks mächtige Geschäftsführerin Sheryl Sandberg nach Berlin angereist. "Wir glauben, dass Technologie Menschen zusammenbringen und einige der drängendsten gesellschaftlichen Herausforderungen lösen kann", sagte sie. Und dann noch: "Bildung ist alles - und die soziale Integration ist eine der wichtigsten Herausforderungen, mit denen wir konfrontiert sind."

So glatt, so gut. Doch welche Art von Bildung ist gemeint? Digitale Fähigkeiten bedeuten ja nicht nur zu lernen, wie man im Internet nicht abgezockt wird oder mehr Follower auf Twitter bekommt. Sondern auch, dass diese digitale Welt genau so echt ist wie die, nun ja, wie die echte Welt eben. Zur digitalen Alphabetisierung gehört das Wissen, dass die eigenen Handlungen im Internet Konsequenzen haben. Es bedeutet zu wissen, was eine vertrauenswürdige Quelle ist, und verinnerlicht zu haben, dass es nicht in Ordnung ist, andere Menschen zu beleidigen oder zu bedrohen, nur weil man sich auf offener Straße gerade noch so zurückhalten kann.

Der Air-Hockey-Tisch und die unverkleideten, nur mit Silberfolie überzogenen Deckeninstallationen schaffen zusammen mit schwarzen Industrielampen in Berlin einen Hauch jener loftigen Start-Up-Welt, der Facebook schon längst entwachsen ist. In diese fast schon würdevolle Atmosphäre platzen nun zwei Dutzend plappernde Sechs- bis Neunjährige. Es sind Schüler einer Kreuzberger Brennpunktschule, die hier ein Grundverständnis dafür bekommen sollen, wie Computer funktionieren. Sie freuen sich über den Satz iPads, der ihnen zur Verfügung gestellt wird, und über Gratis-Getränke.

Vier Projekten stellt Facebook die Infrastruktur zur Verfügung, knapp 200 Quadratmeter Fläche, Hardware und superschnelles Internet. Neben der "Digitalwerkstatt" für Kinder und Jugendliche, die von einem Spielzeughersteller finanziert wird, gehört dazu die Reporterfabrik des Journalistenkollektivs "Correctiv", das für Facebook auch Falschmeldungen aufspüren soll. Die "ReDI School of Digital Integration" bietet Programmierkurse für Flüchtlinge an. Und ein weiteres Projekt bringt Senioren bei, wie man Apps installiert, Google Maps benutzt und im Alter nicht vereinsamt. Facebook selbst bietet keine Kurse an. Ob online oder offline, das Unternehmen versteht sich nun mal als Plattform, die andere mit Inhalten füllen.

Ausführlich betonen die Kursleiter, dass man nicht von Facebook instrumentalisiert werde, dass die Erfahrungen positiv seien, und dass die Firma keinen Einfluss auf die Inhalte habe. Bei Facebook selbst betont man, dass das Digitale Lernzentrum keine direkte Reaktion auf Geschehnisse der letzten Monate, sondern schon seit längerem geplant gewesen sei. Trotzdem entgeht das Unternehmen nicht dem öffentlichen Diskussionsklima, für das es selbst nicht ganz unverantwortlich ist: Auch in Sachen Lernzentrum ließ der erste Stänkerer nicht lange auf sich warten. Einen halben Tag nach der Eröffnung hieß es auf der Facebook-Seite des Zentrums, warum es denn diese Angebote nicht auch für "normale deutsche Staatsbürger" und "für unsere Kinder" gebe.

Die Schüler haben inzwischen durch ein simples Klatsch- und Tanzspiel gelernt, wie ein Computerprogramm prinzipiell abläuft. ABC, links, rechts, klatschen - stark abstrahiert macht ein Rechner nichts anderes, der Loop des Lebens. Mit einer Proto-Programmiersprache animieren sie nun den Anfangsbuchstaben ihres Namens. Die Leiter versuchen, neben der Digital- auch noch ein bisschen Lese- und Rechtschreibkompetenz zu vermitteln. Weil all das in Zukunft vielleicht gleich wichtig sein wird. Im Raum neben den Kreuzberger Kindern treffen sich ein paar Teilnehmer der ReDI School für Migranten. Hier sitzt Maher, ein Programmierer aus Syrien, der vor einem Jahr nach Deutschland floh. Jetzt benutzt er Wörter aus dem Start-Up-Lexikon wie "Networking" oder "Demo-Day". Zusammen entwickeln die Teilnehmer hier Apps, um Flüchtlingen Wege durch die deutsche Bürokratie zu bahnen oder sie auf kostenlose Hilfsangebote hinzuweisen.

Die Senioren kommen derweil immer mittwochs, und die Reporterfabrik hat mit ihrer Arbeit noch gar nicht begonnen. Es treffen sich alte und ganz junge Menschen, Migranten und Einheimische, Unbedarfte und Profis. Es ist ein bunter Bildungs-Blumenstrauß, für jeden ist etwas dabei. Man wird nach einem einzigen Besuch nicht unbedingt programmieren können; aber schon mehr drauf haben als nur Facebook-Grundkenntnisse.

Dort ein Netzwerk für Milliarden von Menschen - und hier ein paar Volkshochschulkurse

All das sei ja schön und gut, hieß es in ersten Reaktionen auf das Berliner Lernzentrum, aber es sei nicht genug. Man kann das unfair und nachvollziehbar zugleich finden. Weil man eben von Facebook immer auch etwas mehr erwartet, von einem Unternehmen, das zu den zehn wertvollsten Firmen der Welt zählt, das Daten und Lebensereignisse von fast zwei Milliarden Nutzern verwaltet, vermarktet und verkauft. Da ergibt sich dann schon ein gewisser Graben zu den von Facebook ausgewählten Kursen, die man so ähnlich auch im Lehrplan einer halbwegs ambitionierten Volkshochschule finden könnte.

Mark Zuckerberg herrscht über die größte Marketing-, Medien-, Aufmerksamkeits- und Propagandamaschine, die die Welt je gesehen hat. Mitte Februar veröffentlichte er ein Weltrettungsmanifest, das so ausgiebig interpretiert wurde wie die Regierungserklärung eines Staatsoberhauptes. Darin zeichnete Zuckerberg, besorgter als sonst, das Bild von einer globalen Gemeinschaft, in der die Menschen so nah zusammenrücken wie nie zuvor. Alles natürlich dank Technik und Facebook.

Dabei klafft die digitale Kluft ja schon längst nicht mehr nur zwischen Generationen, sondern auch zwischen sozialen Schichten. Die Wutbürger, die Gutmenschen und der kleine verbliebene Rest an Normalos, sie alle nutzen das Netz unterschiedlich. Und überhaupt: Wie kann es einen digitalen Bildungskanon geben, wenn zwei unterschiedliche Menschen dank omnipräsenter Personalisierungsalgorithmen zwei unterschiedliche Versionen des Internets zu sehen bekommen?

Anderthalb Stunden dauert der Kurs für die Grundschulklasse. Niemand stört, niemand langweilt sich, und dass ein kleines Mädchen von dem Farbenspiel, das das durch die Panoramascheiben gebrochene Licht aufführt, noch faszinierter ist als von den hüpfenden Buchstaben auf dem Bildschirm, ist beinahe rührend in einer Zeit, in der allenthalben vor zu viel Bildschirmzeit gewarnt wird. Jetzt fahren die Kinder zurück in ihre eigene Welt. Sie haben mit ziemlicher Sicherheit noch keine Vorstellung von Fake News, Filterblasen und Hatespeech. Aber auch sie werden diesen Phänomenen nicht entgehen.

© SZ vom 11.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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