Internet-Kolumne:Nachrichten aus dem Netz

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Ganz, ganz liebe Grüße: Wie soziale Netzwerke langsam, aber sicher das menschliche Mitgefühl unter ihre Kontrolle bringen.

Von Michael Moorstedt

Zu den vielen Aspekten zwischenmenschlicher Kommunikation, die Facebook angeblich bereits ruiniert hat, gesellt sich nun ein weiterer. Das soziale Netzwerk führte vergangene Woche eine Funktion ein, die Nutzer per SMS benachrichtigt, wenn ihre Freunde Geburtstag haben. Neu daran ist, dass man auf die Kurznachricht nur mit der Ziffer 1 antworten muss, um besagten Freunden "Happy Birthday" auf deren Seite zu schreiben.

Man erspart es sich also nicht nur, sich an die Geburtstage seiner Freunde erinnern zu müssen, sondern auch, zwölf Buchstaben extra zu tippen. Und man muss sich nicht mehr extra einloggen, um die Grüße zu versenden. Das System leitet sie reibungslos an die Adressaten weiter. Selbstverständlich fühlen sich nun all diejenigen bestätigt, die auch ohne eigenes Nutzerkonto schon seit jeher der Meinung waren, dass Kommunikation in sozialen Netzwerken oberflächlich und unehrlich ist.

Doch in Wahrheit ist es natürlich noch viel schlimmer. Das Netzwerk hat ein Interesse daran, die Kommunikation seiner Mitglieder so berechenbar wie nur irgendwie möglich zu formen, um die Nutzer so eng wie möglich zu binden und dadurch die auf Facebook verbrachte Zeit zu maximieren. Auch deshalb hält das Unternehmen einmal jährlich seinen "Compassion Research Day" ab. Auf dieser interdisziplinären Forschungskonferenz beratschlagen Experten darüber, wie solch für Computersysteme so schwer greifbare Konzepte wie Mitgefühl oder Bedachtsamkeit in Zukunft noch besser und stromlinienförmiger durch das Netzwerk zu leiten sind.

Facebook ist nicht die einzige Plattform, die am Kommunikationsoutsourcing arbeitet. Apps wie Romantimatic und Heroboyfriend versprechen etwa, dem Partner automatisierte Liebesbotschaften zu schicken. Google stattdessen hat schon im vergangenen Jahr ein Patent mit dem quasi selbsterklärenden Namen "Automated generation of suggestions for personalized reactions in a social network" eingereicht. Das System analysiert also den Inhalt eines Updates im Netzwerk und schlägt dem Nutzer adäquate Reaktionen vor, etwa "viel Erfolg" zu wünschen, wenn ein Freund mit einer Beförderung protzt. Derweil bewirbt Microsoft seinen digitalen Assistenten Cortana als einzige Software mit "personenbasierter Erinnerungsfunktion". Würde besagter Freund anrufen, bekäme man einen Hinweis, ihm gefälligst zu gratulieren.

Die menschliche Variable wird also zunehmend dezimiert und das Dasein auf sozialen Netzwerken fühlt sich latent roboterhaft an. All das lässt den früheren Journalisten und heutigen IT-Investor M. G. Siegler darüber nachdenken, wann es so weit ist, dass automatisierte Software im Internet vollständig die Kommunikation der Menschen übernimmt. "Dann werden Roboter sich bei anderen Robotern bedanken, die ihnen zuvor gratuliert haben?", beschreibt Siegler eine bereits ziemlich reale Vision. Denn schließlich gibt es auch schon längst Facebook-Apps, die jeden Geburtstagsgruß automatisch mit einem "Gefällt mir" versehen.

© SZ vom 10.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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