Internationale Literatur:Roter Bikini, weißer Rauch

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Eduardo Halfon: Signor Hoffman. Roman. Aus dem Spanischen von Luis Ruby. Carl Hanser Verlag, München 2016. 192 Seiten, 20 Euro. E-Book 15,99 Euro. (Foto: Verlag)

Eduardo Halfons neues Buch "Signor Hoffman" ist ein brillantes Einzelstück aus einem Großroman-Projekt.

Von Ralph Hammerthaler

Eduardo Halfon schreibt am Großroman seines Lebens. Darum sollte man "Signor Hoffman" nicht als etwas Eigenständiges und Abgeschlossenes ansehen. Dieses brillante Buch, dessen Kapitel auf den ersten Blick wie voneinander unabhängige Erzählungen wirken, ist nur ein weiterer Baustein in diesem Großroman. Das Erzähler-Ich ist hier das Ich-Ich, also Eduardo Halfon, der durch seinen Blick auf die Welt alles zusammenhält, durch sein Staunen und durch seine Furcht, und der jedem Vorfall mit unnachahmlicher Gelassenheit begegnet, mit einer Prosa der scharfsinnigen Ruhe, falls es so etwas gibt.

Das Kapitel "Weißer Rauch" etwa war schon in "Der polnische Boxer" enthalten, im vorherigen Roman. Halfon hat es überarbeitet und ergänzt, bestimmt, weil er die Figur der Jüdin Tamara mit ihren smaragd-blauen Augen für seinen Großroman retten wollte. Damals gestand sie ihm, leicht angetrunken, sie liebe es, wenn man ihr in die Brustwarzen beiße, und zwar fest. Er aber staunte nur und fürchtete sich. Und dabei ist es geblieben. Eine Sex-Szene mit Tamara schenkt er einem auch diesmal nicht. Immerhin aber geht er mit ihr an den Strand und lässt sie einen roten Bikini anhaben. Nach der ersten Begegnung notierte er: "Ich umarmte sie fest und spürte etwas, was ich nicht benennen kann, es war aber so klar und eindeutig wie der weiße Rauch, der in einer dunklen Winternacht aus der Sixtinischen Kapelle aufsteigt, und ich wusste genau, dass ich am nächsten Tag nicht wiederkommen würde." Aber auch die zweite Chance ergreift er nicht. Mit Staunen und Furcht allein ist Liebe nicht zu haben.

Im Schauspieler Philip Seymour Hoffman findet Halfon sein Ideal

Einmal sagt Tamara, sie habe sich niemals vorstellen können, dass es guatemaltekische Juden gebe. Aber Halfon ist einer von ihnen, obwohl er so tut, als wäre er nur von Zeit zu Zeit einer. 1971 wurde er in Guatemala-Stadt geboren, er lehrt Literaturwissenschaft, heute lebt er in Nebraska. "Ich schreibe und beschreibe vom Ausland her," heißt es in einem Kapitel über sein Heimatland, "dabei blase ich Rauch auf meine guatemaltekischen Ursprünge, bis sie noch undurchsichtiger und trüber sind." Im Israel-Kapitel fühlt er sich gar nicht so fern mit Arabern verwandt. Der eine Großvater ein arabischer Jude aus Beirut, die Großmutter eine arabische Jüdin aus Alexandria, die andere Großmutter eine arabische Jüdin aus Aleppo, der Großva-ter ein jüdischer Pole - "zu drei Teilen Araber, zu einem Teil Pole".

Im süditalienischen Ferramonti di Tarsia, wo Mussolini einst das größte Konzentrationslager des Landes errichten ließ, wird Halfon auf einem Podium rätselhaft als Signor Hoffman begrüßt. Später stellt sich heraus, dass es in derselben Stunde geschah, als der Schauspieler Philip Seymour Hoffman in seinem New Yorker Badezimmer starb. "Als hätte das Sterben seinen Namen freigesetzt, und jetzt triebe dieser lose durch die Welt, ein Schweben durch die Welt, so dass jeder auf der Welt ihn plötzlich in der Luft erhaschen könnte und ihn sagen und ihn verkörpern." Einmal, behauptet Halfon, habe er in einer Schlange hinter Hoffman gestanden, in einem Café in Greenwich Village, und ihm so vieles sagen wollen, wie sehr er zum Beispiel die Fähigkeit schätze, "einer kleinen Geschichte Größe zu verleihen, Allerweltsfiguren in bestimmten Szenen erhaben und liebenswert erscheinen zu lassen, Figuren, die zerbrechlich waren und verkorkst und banal". Leider bekam er den Mund nicht auf. Aber egal, denn damit hat Halfon zugleich über seine eigenen Figuren nachgedacht, auch die Figur des Eduardo Halfon.

Ein polnischer Boxer hat, wie man aus dem vorigen Buch weiß, dem polnischen Großvater das Leben gerettet, indem er ihn eine Nacht lang fürs Verhör trainierte. Nun reist der Enkel Eduardo nach Polen, obwohl ihm der Großvater davon abgeraten hat, denn Polen hätten ihn verraten. Er steuert Lodz an, um die ehemalige Wohnung des Großvaters aufzusuchen. Erst wird ihm der Zutritt verwehrt, dann klappt es doch. Er findet nichts, was ihn an das Leben seines Großvaters erinnern würde. Erschöpft flüchtet er auf die Toilette. Und dann findet er doch etwas: In einem Schrank aus schwarzem Metall lagern alte Videokassetten, polnische Pornos. Auf einem Cover entdeckt er eine kurvige Blondine, die der Mieterin der Wohnung verteufelt ähnlich sieht, nur halt jünger und attraktiver. Er steckt die Kassette ein. Das ist Halfon. Er sucht seinen Großvater und findet eine polnische Sexgöttin.

Im Hotel steigt er in den Aufzug. Der Liftboy, ein alter Mann in Livree, spricht nur Polnisch. Während der Fahrt versuchen sie, einander vorzustellen. Der Alte kann mit dem Namen Halfon nichts anfangen. Da sagt Halfon mit einer Stimme, die schon nicht mehr die seine ist: Hoffman, Signor Hoffman. Da lächelt der Alte, selbst wenn er sich ein zweites n hinzudenken muss. Einen deutschen Hoffmann kennen sie in Polen.

© SZ vom 26.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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