Interessenskonflikt:Angst ist Gold

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Das Buch "Gefährliche Bürger" gilt als Standardwerk über die neuen Rechten. Doch heikle Passagen wurden getilgt.

Von Johannes Boie

Im Sommer 2015 marschiert Pegida durch Dresden, aus der Euro-kritischen Partei Alternative für Deutschland (AfD) wird unter ihrer eben neu gewählten Chefin Frauke Petry eine, die sich wenig für Ökonomie interessiert und stattdessen vor allem gegen den Islam richtet. Deutschland ist in Aufruhr. In dieser Situation erscheint am 24. August 2015 im Carl Hanser Verlag ein Buch, das die "anständigen" Bürger Deutschlands von jenen trennt, die gefährlich sind, zumindest nach der Meinung der Autoren. Das Werk trägt den Titel "Gefährliche Bürger". Es wurde kontrovers diskutiert, ist aber bis heute ein Standardwerk für alle, die sich für die neuen rechten Netzwerke in Deutschland interessieren. Dementsprechend hat, wer in dem Werk als Rechter genannt wird, ein Problem; ob alle Nennungen zu Recht geschehen, ist zumindest in manchen Fällen umstritten.

Jetzt zeigt sich, dass an der Auswahl der "gefährlichen Bürger" nicht nur die Autoren Liane Bednarz und Christoph Giesa beteiligt waren. Bednarz ist im Hauptberuf Rechtsanwältin bei der renommierten Kanzlei Noerr in München. Sie publiziert an vielen Orten, von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung bis hin zu Spiegel Online, wo sie als "AfD-Expertin" firmiert, sehr häufig auch auf ihrer eigenen, mittlerweile von Tausenden Lesern - darunter zahlreiche Journalisten und Politiker - frequentierten Facebook-Seite.

Noch vor der Veröffentlichung des Buches veranlasste Bednarz beim Hanser-Verlag, Namen, Firmen und Begriffe aus ihrem eigenen Werk zu streichen. In mehreren Schreiben nennt sie ihren Arbeitgeber und dessen Interessen als Grund. Offenbar ging es darum, Mandanten, potenzielle Mandanten und allgemein wichtige Personen nicht gegen die Kanzlei Noerr aufzubringen. Alexander Filipović, Münchner Professor für Medienethik, erkennt darin einen Interessenkonflikt.

Eine Pegida-Demo am 16. Oktober auf dem Theaterplatz in Dresden. (Foto: Robert Michael/imago)

Noerr teilt auf Anfrage mit, "politische oder publizistische Äußerungen" treffe Frau Bednarz "ausschließlich als Privatperson. Sie erfolgen unabhängig von der Kanzlei. Die Inhalte werden von Frau Bednarz verantwortet".

Aber bedeutet das auch, dass sie ohne Einfluss der Kanzlei entstanden sind? Auf Anfrage bestätigt Bednarz selbst, dass sie auf die Änderungen wegen ihres Arbeitgebers drängte. Sie sagt, es sei "einzig und allein um die Einhaltung meiner anwaltlichen Pflichten" gegangen. Weitere Fragen lässt sie von ihrem Anwalt beantworten. Dieser gibt an, Bednarz selbst habe mit ihren Chef über das Buch gesprochen "und mit ihm ausgemacht, diese Passage streichen lassen zu wollen". Es sei Bednarz' Versäumnis, erst spät bemerkt zu haben, dass es "in einem Kapitel des Buches Passagen gab, die sich mit den Pflichten aus ihrer Tätigkeit nicht vereinbaren ließen".

In einem anderen Schreiben des Rechtsanwaltes heißt es, Noerr habe als ihr Arbeitgeber "sein Veto gegen eine Behandlung der Sachanleger-Branche eingelegt, so dass die betreffenden Passagen im Kapitel ,Die Angstmacher' aus berufsrechtlichen Gründen zwangsläufig entfallen müssen."

Die Änderungen sind umfangreich. Ein ganzer Teil schrumpfte auf zwei Seiten

In diesem Kapitel in "Gefährliche Bürger" erzählen Bednarz und Giesa von einer Branche, in der ihren Recherchen nach dubiose Händler mit Rechtsdrall Finanzprodukte für verunsicherte Menschen anbieten. Die Autoren fällen ein hartes Urteil über die Händler: "Sie sitzen nicht nur neurechten Phantasien des Untergangs des Abendlandes auf", sondern schürten auch "Vorbehalte gegen den (jüdischen) Zinskapitalismus".

Mithilfe ihres Anwalts schützte Bednarz also ausgerechnet jene Menschen, die sie eigentlich in dem "Angstmacher"-Kapitel erwähnen wollte. Letzten Endes beugten sich der Hanser Verlag wie auch Co-Autor Giesa in vielen Fällen. Das Buch erschien in einer deutlich geänderten Fassung im Vergleich zum zunächst verfassten Manuskript. Autoren entscheiden üblicherweise selbst, wer in ihrem Werk genannt wird. Auch der Hanser-Verlag bestätigt die Änderungen wegen "beruflicher Pflichten der Autorin". Es habe sich lediglich um "kleine Änderungen am Text" gehandelt. Co-Autor Giesa sei mit "den gefundenen Kompromisslösungen einverstanden" gewesen. Giesa möchte sich dazu nicht äußern.

Die Änderungen am Text sind nicht klein. Inhaltlich schwerwiegend und umfangreich sind Streichungen und Umformulierungen in jenem Teil, der schließlich auf zwei Buchseiten zusammen schrumpfte, nämlich auf die Seiten 137 und 138. Auf jenen Seiten strich die Autorin zum Beispiel die Namen "Thorsten Polleit", "August von Finck", wie auch "Degussa Goldhandel".

Polleit waren ursprünglich zwei längere Absätze im Manuskript gewidmet. Darin hieß es über den Ökonomen, er halte sein Gesicht "überall, wo es geht, in die Kamera", seine Voraussagen würden nach Ansicht der Autoren zwar oft nicht zutreffen, dürften aber "im Grundtenor immer im Sinne seines Arbeitgebers gewesen sein". Polleit arbeitet für die Firma Degussa Goldhandel. Dem Milliardär August von Finck gehört das Unternehmen. Und weiter: Von Finck und Polleit seien interessiert daran, dass "das anlagefreudige Publikum immer eine Art Grundpanik verspürt und deshalb als gewissermaßen ,sichere Investition' fleißig Gold, Silber und andere Edelmetalle kauft". Die beiden Männer profitierten so von der Angst, die die Neue Rechte verbreitet. Sie gelten Bednarz und Giesa demnach als "gefährliche Bürger". In Polleits Fall fühlten sich Bednarz und Giesa sogar an eine Gruppe rechtsradikaler Verschwörungstheoretiker erinnert. So stand es im Text, bis Bednarz eingriff.

Im Buch steht kein Wort mehr davon. Aus Polleit wurde im Text ein "namhafter Edelmetall-Apologet". Man muss als Leser schon sehr, sehr tief in der Szene stecken, um zu erahnen, wer gemeint ist. Auch von Fincks Name und Degussa wurden noch rechtzeitig vor dem Druck im gesamten Text des Buches gestrichen.

Lässt sich die Aufdeckung politischer Netzwerke im Nebenberuf betreiben?

Wer sind die Personen, die im letzten Moment von der Autorin geschont wurden? Recherchen der SZ wie auch anderer Medien legen nahe, dass August von Finck mit dem Gründer von Bednarz' Arbeitgeber Noerr, Rudolf Nörr, zusammenarbeitet. Außerdem betreibt die AfD im Internet einen umstrittenen Goldshop. Nach den Recherchen ist zu vermuten, dass das Gold für dieses Geschäft wenigstens zum Teil ursprünglich von Degussa kommt. Über Finck, so berichtet die Welt, heißt es außerdem in internen Papieren der CDU, er unterstütze den Wahlkampf der AfD. Der Milliardär war auf Anfrage nicht zu erreichen. Polleit selbst wollte sich nicht äußern, von Degussa heißt es auf Anfrage, man habe von dem Buch und der gesamten Situation bislang nichts gehört. Und ob man Gold an die AfD geliefert habe, sei, weil der Goldhandel über Zwischenhändler erfolge, für Degussa nicht nachzuverfolgen.

In letzter Minute von der Auflistung der "gefährlichen Bürger" entfernt wurden auch Bert Flossbach, Gründer der Vermögensverwaltung Flossbach von Storch, und sein Mitarbeiter Philipp Vorndran. Beide waren ursprünglich ebenfalls von Bednarz und Giesa als "Angstmacher" tituliert worden.

Trotz Lösch-Wunsches aus der Kanzlei Noerr findet sich einzig der Name des ehemaligen Thyssen-Chefs Dieter Spethmann noch im Manuskript, offensichtlich aber aus Unachtsamkeit. Spethmann, der mittlerweile gestorben ist, wird im Buch nur ein einziges Mal erwähnt, dabei fehlt sein Vorname. Offenbar hat man seinen Namen beim Löschen schlicht übersehen. Im Manuskript stand der Name des mittlerweile verstorbenen Ex-Managers gleich mehrfach, unter anderem wurde er als Euro-Hasser vorgeführt. Spethmann musste aus dem Text verschwinden, weil, wie Bednarz in einer geschäftlichen Mail schreibt, ihre Chefs in der Kanzlei "bei ehemaligen Wirtschaftsführern" Sorge hätten, "dass diese immer noch Einfluss haben könnten und es nicht gern sehen, wenn eine Noerr-Anwältin sie kritisiert".

Die Last-Minute-Eingriffe der Autorin gingen auch ins Detail: Selbst einzelne Begriffe wie zum Beispiel "Gold" mussten kurzerhand geändert werden, weil die Autorin, wie sie selbst in einer Mail schreibt, von einem Vorgesetzten zu hören bekommen habe, dass "der Begriff ,Gold' quasi ein Synonym für das Unternehmen" Degussa-Goldhandel sei. Im Buch ersetzte Bednarz daher zum Beispiel den Satzteil "Gold und Silber" durch das Wort "Edelmetalle", in anderen Abschnitten fehlen Worte wie "Bankhäuser" oder auch "Goldhändler", auch abwertende Titulierungen für Unternehmen in der Edelmetall-Branche wie ein in Anführungszeichen gesetztes "seriös" entfielen, außerdem auch der Begriff "Goldclique", mit dem Bednarz und Giesa jenen Teil der von ihnen als gefährlich identifizierten Szene bezeichneten. So änderte sich der Ton des ganzen Kapitels.

Wünschenswert, sagt der Medienethiker Filipović, wäre es gewesen, wenn die Autoren auf den Interessenkonflikt hingewiesen hätten. "Alles andere ist unredlich und widerspricht also dem publizistischen Ethos." Einen Hinweis auf Interessenkonflikte gibt es im Buch allerdings nicht. So stellt sich die Frage, ob man die journalistisch anspruchsvolle Aufgabe, politische Netzwerke aufzudecken, als Nebenberuf betreiben kann. Ansonsten fällt ihr hartes Urteil schnell auf die Autoren selbst zurück. Wie lautete einer ihrer Vorwürfe gegen Thorsten Polleit? "Im Grundtenor immer im Sinne seines Arbeitgebers."

© SZ vom 26.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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