Intellektuelle Rechte in den USA:Der Legionär

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Michael Anton kämpfte als "Publius Decius Mus" für Donald Trump, nun ist er Mitarbeiter im Nationalen Sicherheitsrat - woher hat er sein geistiges Rüstzeug?

Von Thomas Meyer

Vielleicht werden wir künftig häufiger die "Elementarbücher" hervorziehen müssen, wenn wir Donald Trump und seine Politik verstehen wollen. Vielleicht begreifen wir die Pläne, die in seiner Administration geschmiedet werden, genauer, wenn wir wieder Platon, Aristoteles und Xenophon, dazu noch Machiavellis und Shakespeares Werke lesen, dem Originalsinn der amerikanischen Verfassung und ihren zeitgenössischen Ausdeutungen nachgehen und uns schließlich mit Harry Jaffa und seiner Schule beschäftigen.

Das klingt kryptisch, zumal uns die vielen Porträts Steve Bannons, also Trumps ideologischen Einflüsterers, doch glaubhaft nahegelegt haben, dass Ersterer ein besessener Eklektizist ist, der alles aufsaugt, was irgendwie den Aufstieg und Verfall Amerikas erklärt, der apokalyptische Geschichtszyklen mit der Überlegenheit des weißen Mannes verbindet und Lenin als klügsten Feind der Demokratie und ihrer Institutionen ausweist.

Und dennoch kann es nichts schaden, die Klassiker samt Jaffas Büchern in Griffweite zu haben. Denn kürzlich wurde enthüllt, dass sich hinter dem anonymen Publizisten "Publius Decius Mus", der während des Wahlkampfs als intellektueller "Trumpist" Furore machte, der 47-jährige Michael Anton verbirgt, der nun zum Mitarbeiter im Nationalen Sicherheitsrat avancierte ( SZ vom 4. Februar). Damit wurde die Tür in eine intellektuelle Szene der USA geöffnet, die in Deutschland bisher weitgehend unbekannt ist.

Wie nicht wenige seiner Generation war Michael Anton, der 1970 geboren wurde, zunächst ganz Allan Blooms Pamphlet "The Closing of the American Mind" erlegen, jenem Traktat eines Chicagoer Universitätsprofessors, der 1987 für unglaublich viel Aufsehen sorgte. Bloom attackierte darin alles, was den Amerikanern scheinbar hoch und heilig war, nämlich seichte Unterhaltung und jede Art von primitiver Ablenkung.

Für die Übel, die er attackierte, hatte Allan Bloom, der 1992 an Aids verstarb, diverse Gegengifte parat, worunter das Lesen der westlichen Klassiker noch die sympathischste Medizin war. Ansonsten war er der wohl erfolgreichste Popularisierer der Lehren von Leo Strauss, seines verehrten, ja, geliebten Doktorvaters. Strauss, der aus Deutschland stammte und 1938 in die USA gekommen war, entwickelte sich dort zu einem der schärfsten philosophischen Kritiker der Aufklärung, des Liberalismus und der Gleichheitspostulate.

Peter Paul Rubens: Decius Mus deutet seinen Offizieren den Traum, 1616/17. Im Lager bei Capua hatte der römische Oberbefehlshaber geträumt, siegen würde das Heer, dessen Feldherr in der Schlacht fällt. (Foto: akg-images/Liszt Collection)

Bloom, ein flamboyanter, eitler und äußerst kluger Provokateur, der Platon, Shakespeare und Rousseau faszinierend eigensinnig deutete und liebend gern in den Kampf gegen Marxisten, Liberale und alle die zog, die das Worte "Werte" in den Mund nahmen, wurde darüber Millionär. Ein schwuler Jude, dem die Rechten zujubelten - das war ein Phänomen, für das sich sogar das von Bloom verachtete Fernsehen interessierte. Michael Anton erkannte in Blooms Niedergangsanalyse den Schlüssel zu seinem Amerika.

Doch dann hörte er von Harry Jaffa, einem weiteren Leo-Strauss-Schüler, der an den Claremont Colleges in Kalifornien lehrte. Für den 1918 geborenen Jaffa, der erst in Yale, dann an der New School for Social Research in New York studierte, war die Begegnung mit Strauss lebensentscheidend. Als Strauss 1949 nach Chicago ging, tat er das nur unter der Bedingung, dass auch Jaffa eine Stelle erhielt. Im Sinne seines Lehrers konzentrierte sich Jaffa zunächst ganz auf das Studium von Aristoteles und Thomas von Aquin.

Eines Tages entdeckte er auffällige Parallelen zwischen Aristoteles' Ethik und Politik und den Debatten, die Abraham Lincoln führte. Zwischen 1838 und 1858, so Jaffa, habe sich die im Juli 1776 unterzeichnete Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten als lebendige, belastbare moralische Grundlage, als eine wirklich freie, die staatlichen Möglichkeiten und Grenzen exakt definierende Schrift erwiesen. Das "We the People" der Verfassung machte aus jedem Amerikaner einen Teil dieser potenziell nahezu perfekten Welt, zu deren Herstellung die Nation berufen ist. Harry Jaffa veröffentlichte seine Lesart der amerikanischen Geschichte 1959 unter dem Titel "Crisis of the House Divided".

Michael Anton, geboren 1970, Absolvent des Claremont College, im Wahlkampf "Trumpist", und nun Mitarbeiter im Nationalen Sicherheitsrat der USA. (Foto: Andrew Harrer/Bloomberg News)

Für Michael Anton, der an dem aus insgesamt sieben Colleges bestehenden, elitären Claremont College ausgebildet wurde, wurden die Schriften Jaffas zum Evangelium. In ihnen zog jedweder demokratische Kompromiss die Todsünde des "Relativismus" nach sich, die Rede von "Gleichheit" beinhaltete eine übelmeinende Verleugnung des "American exceptionalism". Jaffa zufolge durfte die Pluralisierung der Gesellschaft kein Vorwand dafür sein, dass man die stabile Ordnung der Gründungsväter neuen Situationen anpasst. Was auf hohem Niveau in der Claremont Review of Books viermal im Jahr publiziert wird, galt allzu vielen allzu lange als verschrobener Konservatismus, der sich selbst genügt und in esoterischen Spielen der Eingeweihten erschöpft.

Diese Ignoranz vieler Liberaler überrascht, denn nicht wenige Colleges, darunter Claremont, Hillsdale oder St. John's, sind als "liberal arts colleges" seit Jahrzehnten der Idee der "great books" verpflichtet und bilden einen Großteil nicht nur der akademischen Elite aus.

Und man lernte an den Colleges nicht nur von den "great books". Harry Jaffa, der 2015 verstarb, und viele seiner Schüler verkörpern einen Typus, der seit dem Präsidenten Herbert Hoover "rugged individualist" heißt. Das mit "rauer Individualist" bestenfalls wörtlich übersetzte Konzept, war für Jaffa und ist bis hin zu Michael Anton verpflichtend: eine Verpflichtung auf die amerikanischen Ideale, die sich von aller staatlichen Unterstützung radikal abgrenzt; ein Nonkonformismus, der ganz auf ein unangepasstes Selbst setzt, das sich von den "great books" und deren unveränderlichen Botschaften lenken lässt. Ein Konzept, das Heroismus und Kampf, Intervention und Klugheit miteinander verbindet und diese Grundlagen immer neu aktualisiert.

Man möchte aufs Ganze gehen, von der Lektüre zur Tat

Das ist es, was Michael Anton in der für die Schule Jaffas typischen Überspitzung dachte, als er sich das Pseudonym "Publius Decius Mus" gab. Der Name dreier römischer Konsuln, Großvater, Vater und Sohn, die sich allesamt, so will es Cicero und so wiederholt es Dante in seiner "Monarchia", für den Staat opferten. Deren "devotio" war das Modell für Antons Essay "Flight 93 election" im September 2016 - veröffentlicht in der Claremont Review of Books. Er ließ aufhorchen durch die infame Parallelisierung der Situation der Passagiere auf dem Flug 93 mit der Lage der Republikaner und mehr noch in der scharfen Anklage gegen ein rechtes Establishment, das alle Vorteile einer Gesellschaft genieße, die immer weiter nach links drifte und letztlich sämtliche Werte Amerikas zerstöre.

Doch die Infamie und die auf sie folgende Aufregung waren kalkuliert. Man möchte aufs Ganze gehen. Institutionen sind da, um zerstört zu werden, am besten von innen, wie schon Karl Rove, der Berater George W. Bushs wusste. Mit Michael Anton aber ist eine ganz neue Wucht ins Weiße Haus eingezogen, die sich ganz auf die einseitige Lektüre der Klassiker verlässt. Neben der Geschichte Spartas und Roms, der Geschichte von Florenz, wie Machiavelli sie sah, wird man die Bücher von Harry Jaffa, Paul A. Rahe und anderen lesen müssen, um zu verstehen, wie aus subtilsten philosophischen Analysen praktische Handlungsanweisungen werden können, wenn man denn ein Ideologe vom Schlage Michael Antons ist.

© SZ vom 10.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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