"Inferno" von Dan Brown:Fiasko der lauernden Botschaften

Dan Brown's Inferno Set To Be The Best Seller Of The Year

Dan Browns Buch "Inferno" in den Buchläden.

(Foto: Getty Images)

Wenn das Geschäftsmodell "Kulturthriller" scheitert: Dan Brown mogelt sich in "Inferno" an Dantes "Göttlicher Komödie" vorbei. Auf dem Weg zu Robert Langdons Fiasko dient der Klassiker als Steinbruch von Zitaten und Bildern. Das ist alles.

Von Lothar Müller

Es ist wie verhext: die Bilder und Wörter, die einem beim Lesen in den Kopf kommen, lassen sich partout nicht kontrollieren. Nehmen wir das neue Buch des amerikanischen Autors Dan Brown, das gerade erschienen ist, weltweit auf einen Schlag in Millionen von Exemplaren, von Übersetzern in die Sprachen der Welt übertragen, die ihr geheimes Werk, so hört man, in Verliesen unter der Erde verrichten mussten. "Inferno" heißt er, wie der erste Teil von Dantes "Göttlicher Komödie" ( Dan Brown: Inferno. Thriller. Aus dem Englischen von Axel Metz und Rainer Schumacher. Gustav Lübbe Verlag, Köln 2013).

Schon beim Lesen des Titels flattert aus dem Fledermausschwarm im Leserkopf ein Satz heran: Der Teufel trägt Prada. Der Satz steht nicht im Buch, aber bei Dan Brown lauern die verborgenen Botschaften überall. Zum Beispiel in den Accessoires, mit denen er seinen Helden versieht, Robert Langdon, den hochgewachsenen Kunsthistoriker aus Harvard und Repräsentanten der für ihn erfundenen akademischen Disziplin "Symbologie".

Robert Langdon, der sich seit einigen Romanen einen Namen als Code-Entschlüsseler und Aufdecker welthistorisch bedeutsamer Verschwörungen gemacht hat, trägt Tweed, und zwar maßgeschneiderte Modelle der schottischen Firma Harris. Daher sein Lieblingssymbol in der Modewelt: "eine stilisierte Weltkugel mit einer Leiste aus dreizehn Knöpfen und einem Kreuz obenauf, ähnlich dem Reichsapfel der alten Kaiser und Könige".

Langdon erwacht in diesem Roman einigermaßen malträtiert in Florenz, seine Tweed-Jacke ist vorerst weg, und er schlüpft bis zum Ende der Geschichte in einen Brioni-Anzug. Aber dadurch lassen wir uns nicht täuschen. Die eigentliche Botschaft ist der Tweed, er ist das Symbol der großen Sehnsucht des Helden aus New England: es mit seinen großen europäischen Vorbildern aufnehmen zu können, mit James Bond, dem Schotten im Dienste seiner Majestät, und mit dem Urbild aller Zeichendeuter unter den Detektiven, dem Tweed-Träger Sherlock Holmes.

Tweed und Mickey Mouse

Es ist nicht ungefährlich, sich in das Tweed-Symbol zu hüllen. Darum ist es beruhigend, dass Robert Langdon die Zeichen der Zeit an einer Mickey-Mouse-Uhr abliest. Denn sie ist das Symbol seiner Zugehörigkeit zur populären Kultur Amerikas und soll ihn davor schützen, mit allzu großem Ernst auf die Harvard-Gelehrsamkeit verpflichtet zu werden.

Das Geschäftsmodell, in dem Robert Langdon agiert, ist die Zusammenfügung von Tweed und Mickey Mouse zum Genre des Kulturthrillers. Wie für James Bond ist für ihn die stilisierte Weltkugel der Handlungsraum, wie Mickey Mouse ist er mit dem Prinzip der Bilderkette im Bunde. Er hat aber ein spezielleres Einsatzgebiet als die Agenten aus der Ära des Kalten Krieges. Er ermittelt in der Welt der Museen und Kunstwerke. Und anders als Sherlock Holmes deutet er dort nicht so sehr Spuren, als dass er vielmehr Botschaften und Prophezeiungen entziffert.

Dummerweise kommt ihm in "Inferno" gleich zu Beginn wie die Tweed-Jacke auch die Mickey-Mouse-Uhr abhanden, und sein Autor tut nichts, ihn vor dem Verdacht zu bewahren, er wolle im Ernst seine intellektuellen Fähigkeiten und seine Entschlüsselungstechniken mit denen Dantes messen. So nimmt das größte Fiasko seinen Lauf, das er bisher erlebt hat: Er wird seinem eigenen Geschäftsmodell nicht gerecht.

Dan Browns bisher größter Erfolg war der Thriller "The Da Vinci Code" (2003, dt. "Sakrileg, 2004). Darin war die spekulative Entschlüsselung der Geheimgeschichte von Jesus und Maria Magdalena samt Verbindung zur Gralssymbolik unmittelbar an die Kunstwerke vor allem Leonardo da Vincis gebunden. Mit einem gewissen Aufwand hatte der Autor die geheimen Botschaften, die Langdon auf spektakuläre Weise entschlüsselt, zuvor in den Bildern und Gemälden versteckt.

Diese Mühe macht sich Dan Brown in "Inferno" nicht. Die "Göttliche Komödie" Dantes hat hier in etwa die Funktion, die bei Sherlock Holmes eine Zeitung hat, aus der jemand die Buchstaben für einen Erpresserbrief ausgeschnitten hat. Sie dient als Steinbruch von Zitaten und Quelle von Bildern der gequälten menschlichen Natur. Das ist alles. Im "Da Vinci Code" waren der Vatikan und die katholische Kirche Teil der Verschwörung, die es aufzudecken galt. Hier dürfen sie, vielleicht weil das Geschäftsmodell die Wiederholung scheut, nicht mitspielen. So kennt Robert Langdon hier zwar den alten Reichsapfel, weiß aber nichts über Dantes Kritik an der Kurie und dessen Hoffnung auf das Kaisertum. Geradezu panisch flüchtet er vor allem Mittelalter in die aus dem da Vinci-Code bekannten Renaissance-Gefilde in Florenz, einschließlich eines zweiten Aufgusses der Suche nach Leonardos Fresko der "Anghiari-Schlacht" hinter einem Gemälde Vasaris im Palazzo Vecchio.

Niemand würde im Ernst den rapportierenden, floskelhaften Stil Dan Browns an der Sprache Dantes messen. Sehr wohl aber verlangt sein Geschäftsmodell einen sorgfältig gearbeiteten Plot. Aber dieses Buch ist ein achtlos vernähter Kulturthriller von der Stange. Die weltbedrohende Verschwörung ist hier eine groß angelegte gentechnische Manipulation, die ein genialer Wissenschaftler im Geheimen anzettelt, um der drohenden Überbevölkerung des Planeten entgegenzuwirken. Für die Bebilderung der schrecklichen Zukunft, der er mit der Freisetzung eines Unfruchtbarkeitsvirus entgegenwirken will, nutzt das dunkle Genie Dantes "Inferno".

Tackernde Nähmaschine des Plots

So treiben Dante-Zitate die Schnitzeljagd voran. Aber Spannung auf eine geheime Botschaft der "Göttlichen Komödie" selbst kommt bei der Dechiffrierarbeit nicht auf. Die Nähmaschine des Gentechnik-Plots tackert Dantes Inferno und das Florenz der Renaissance und manches mehr zusammen, darunter die Aktionen der unfruchtbaren (!) Leiterin der Weltgesundheitsbehörde und eines weltweit agierenden Konsortiums der Abschirmung und Täuschung, das ungewollt der Freisetzung des "Inferno"-Virus zuarbeitet.

Aber da dieser Kulturthriller in das Zentrum der Dante-Welt, die er aufruft, nicht vordringen darf, muss sich Robert Langdon mit seinen Aufgaben als kulturhistorischer Cicerone bescheiden, der alle Schauplätze in Florenz vom Palazzo Pitti über den Ponte Vecchio bis zum Dom und Baptisterium erläutert. Eins wird dabei bald klar: Es ist nicht immer praktisch und auch nicht immer spannungsfördernd, wenn die Kunstgeschichte den Figuren eines Thrillers die Fluchtwege vorschreibt.

Nun hat aber auch Dan Brown etwas mitbekommen: dass in den neueren Thrillern - man denke nur an Stieg Larssons Lisbeth Salander - junge, hochintelligente Frauen, die in der Kindheit traumatisiert wurden, Schlüsselrollen einnehmen. In "Inferno" gibt es daher die mit einem unglaublich hohen Intelligenzquotienten versehene Medizinerin Sienna Brooks, die an ihrem Ausnahmegehirn leidet, von Kindheit an ihr Schauspielertalent ausgebildet hat und im Gentechnologie-Thriller als Irrlicht zwischen dem genialischen "Inferno"-Anrichter und Robert Langdon bis zum Schluss einen undurchsichtigen Part spielt.

Sie wäre entwicklungsfähig, aber auch sie kann das finale Fiasko Robert Langdons nicht verhindern. Es nimmt seinen Lauf, als Dan Brown ihn über die Stränge schlagen lässt, indem er den Plot nach Venedig und von dort nach Istanbul verlagert. Es scheint, als wäre die Symbologie des Harvard-Professors arg auf Florenz fixiert. Je mehr er sich von dort entfernt, desto schwieriger fällt es ihm, auch relativ einfache Rätsel wie das der "heiligen Weisheit" zu entschlüsseln, in der sich die Hagia Sophia verbirgt.

Venedig und Istanbul sind Schauplätze von James Bond-Filmen. Es ist bitter, dass Robert Langdons Fiasko sich auf dem Weg von Venedig nach Istanbul erfüllt. Für ihn sind dort Rätselaufgaben, die er mit beträchtlichem Aufwand löst, was viele Kulturtouristen, für die er doch unterwegs ist, auch dann wissen, wenn sie nicht in Harvard studiert haben: dass in der Hagia Sophia der venezianische Doge Enrico Dandolo begraben ist und dass unweit der Hagia Sophia die Yerebatan-Zisterne täglich Touristenmassen anzieht und auch unter dem Namen "Versunkener Palast" bekannt ist.

Vollends rätselhaft ist, dass Robert Langdon zwar ein Werk über "Christliche Symbole in der muslimischen Welt" geschrieben hat, das zu den meistverkauften Büchern in der Museumsbuchhandlung der Hagia Sophia gehören soll. Beim Besuch dort, der ihn zum "Ground Zero" des Plots führt, improvisiert er sogar eine kleine Theorie zum Verhältnis von christlicher und islamischer Gottesdarstellung. Es kommt ihm dabei aber partout nicht die skandalöse Passage aus Dantes "Inferno" in den Sinn, die am Beginn aller christlichen Mohammed-Karikaturen steht. Durch die partielle Amnesie, mit der er seit seiner Ankunft in Florenz geschlagen ist, lässt sich das nicht erklären. Es ist ein Symptom dafür, dass dieser "Inferno"-Thriller sich an die Spielregeln des eigenen Geschäftsmodells nicht hält.

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