Indierock:Strategien der Gegenwehr

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1,98 Meter, Ausstrahlung eines Professors: Thurston Moore. (Foto: Caroline International)

Ein Treffen mit Thurston Moore, der mit "Sonic Youth" zur Ikone des Indierock wurde und jetzt ein Soloalbum herausbringt.

Von Juliane Liebert

Sonic Youth waren ein Symbol, die unwahrscheinlichste Verbindung von Sinnlichkeit, Intellektualität und fröhlicher Rebellion im Pop. Sonic Youth zeigten mehreren Generationen, wie man als Indierock-Hipster alt werden kann. Mehr noch: Wie man als Indierock-Band mehrere Jahrzehnte überlebt, ohne weder bedeutungslos zu werden noch seine Ideale zu verraten. Selbst wenn man ihr Schaffen nur noch aus der Ferne verfolgte, war es ein beruhigendes Gefühl, dass es sie noch gab. Dementsprechend war die Auflösung der Band 2011, im dreißigsten Jahr ihres Bestehens, eine kleine Katastrophe.

"Ich gehe dahin, wo er wohnt, trete seine Tür ein und schütte ihm gammlige Milch ins Gesicht!"

Und wer war schuld? Thurston Moore. Wobei sich Sonic Youth nie aufgelöst haben, sie hätten "nur aufgehört zu funktionieren", sagt dieser Thurston Moore in einem blauen Hemd in einem roten Stuhl in Berlin. Er ist riesengroß. Für gewöhnlich wirken Musiker in ihren Videos größer, als sie sind, und erst Jahrzehnte später stellt man fest, dass die einzige körperliche Handlung, die man, sagen wir, an Kurt Cobain hätte vornehmen können, gewesen wäre, ihm den Kopf zu tätscheln. Thurston Moore ist 1,98 Meter groß und hat die Ausstrahlung eines Hochschulprofessors. In wenigen Tagen erscheint sein neues Solo-Album "Rock n Roll Consciousness". Er lebt seit den Siebzigern in New York, womit man in diesen Tagen automatisch nicht mehr bei der Musik ist, sondern bei, genau: Donald Trump. Dann also doch erst mal ein bisschen Trump. Wie haben sie den denn früher erlebt, Mr. Moore? "Er war einfach eine Art Clown. Er war immer höchstens irgendwie amüsant. Wir haben ihn ausgelacht. Wir haben gelacht, als er pleite ging. Er war ein dummes, reiches Kind, das in Manhattan herumstolzierte. Als er in die Politik ging, kam es uns vor wie eine Albernheit." Moore beschäftigt sich derzeit viel mit Politik. Mit wachsendem Verdruss: "Vieles in den Magazinen und Zeitungen liest sich wie Fanfiction über eine, so nenne ich es, "idiotische Elite". Ich will nichts mehr davon lesen, was ich will, sind Strategien zur Gegenwehr."

Seine neue Single "Cease Fire" richtet sich gegen Waffengewalt. Moore ist zweifellos der Meister des schrägen Lärms. Es ist nie intellektuelle Konzeptkunst, selbst die lärmigsten Passagen berühren unmittelbar. Auch Sonic Youth klangen ja, was in der Bewertung ihres Schaffens oft nicht ausreichend gewürdigt wird, auf ihren letzten Platten viel körperlicher als auf den berühmten Alben der Achtziger und frühen Neunziger. Nicht zuletzt deshalb dürfte ihnen das erstaunliche Kunststück gelungen sein, bis zum Schluss eine sehr gute und sehr wichtige Band zu sein, ohne besonders gute Songs zu haben.

Songs von Sonic Youth, die als Songs funktionieren, kann man an einer Hand abzählen. So etwas Ähnliches wie ein Hit war am ehesten noch "Sugar Kane". Und auch wirklich singen konnten weder Moore noch seine Frau Kim Gordon, Bassistin und Co-Bandleader. Eigentlich trafen sie keinen einzigen Ton. Und dennoch will niemand eine andere Stimme als die von Kim Gordon "I Love You Golden Blue" hauchen hören. In ihrer Autobiografie, "Girl in a Band", die vor zwei Jahren erschien und für einiges Aufsehen sorgte in der sich selbst gern als kritisch-progressiv stilisierenden und dennoch notorisch männerdominierten Indierock-Welt, kommt Thurston Moore übrigens nicht gut weg. Darauf angesprochen sagt er, er habe das Buch nie gelesen: "Ich kenne den Plot ja schon." Ein Leseexemplar, um das er den Verleger gebeten habe, wollte der ihm nicht schicken. Moore hat inzwischen gelernt, über den Dingen zu stehen.

Der bekannte Musikjournalist Simon Reynolds, erzählt Moore am Ende noch, habe einmal eine Sonic Youth-Show rezensiert und sich darüber lustig gemacht, wie Kim Gordon auf der Bühne gewirkt habe: "Er schrieb, sie sei eine Krähe, die nur rumschreit. Sie las es im Flugzeug, begann zu weinen und ich dachte: Ich bringe den Typen um. Ich gehe dahin, wo er wohnt, trete seine Tür ein und schütte gammlige Milch in sein Gesicht. Ich werde ihn zum Weinen bringen. Den Plan hatte ich dann ein paar Jahre."

© SZ vom 21.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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