Indiepop:Das Blut hört auf zu fließen

Lesezeit: 3 min

Ein neues Album der Hamburger Indie-Band "Die Heiterkeit".

Von Jan Kedves

Das ist doch mal ein origineller Begriff: "Deathpop" nennt die Hamburger Band Die Heiterkeit auf ihrem Facebook-Profil ihre eigene Musik. Todespop. Ein Wort fehlt in dieser Selbstbeschreibung allerdings: deutsch. Denn Stella Sommer, die Chefin und Frontfrau der 2010 gegründeten Band, liebt zwar Bob Dylan und The Cure, aber ihre Songs singt sie durchgängig in ihrer Muttersprache - vermutlich, weil sie stark von der "Hamburger Schule" geprägt ist, von den großen deutschsprachigen Diskurs-Rockbands Tocotronic und Blumfeld. Die Musik von Die Heiterkeit müsste man also, wenn schon, als deutschen Deathpop bezeichnen - mit Betonung auf deutsch.

In der hiesigen Presse werden Die Heiterkeit jedenfalls gerade flächendeckend bejubelt. Für Spex ist ihr vergangene Woche erschienenes Album "Pop & Tod I+II" (Buback) nicht weniger als "ein großer Wurf". Zeit Online hört eine "super Platte". Spiegel Online freut sich über "ein lustvoll schmissiges Ringen mit trüben Gemütszuständen". Ja, ist dieses Doppelalbum mit seinen 20 Stücken und stattlichen 65 Minuten Spieldauer schon jetzt eines der Alben des Jahres 2016?

"Betrüge mich gut", fordert die Band "Die Heiterkeit". (Foto: Malte Spindler; Malte HM Spindler)

Nun ja. Zunächst einmal ist es in der Tat ziemlich beeindruckend, wie Stella Sommer mit ihrer sehr pathetisch-sonoren Altstimme die allertiefsten Tonlagen auskostet - ganz da unten, wo sich die Tönhöhen eigentlich nur noch erahnen lassen und sämtliche Nico- und Christiane-Rösinger-Vergleiche schlicht weggedröhnt werden. Ihre Stimme lässt die junge Sängerin Stella Sommer um einiges älter klingen, als sie eigentlich ist - und auch ein bisschen altklüger. Was aber überhaupt nicht schlimm ist, besonders dann, wenn sie mal nicht - wie im Eröffnungssong "Die Kälte" - zu trist leiernden Alleinunterhalter-Schunkelbeats singt, so wie man sie vom beliebten Dream-Pop-Duo Beach House aus Baltimore kennt. Sondern wenn Sommer zu konterkarierend flottem, quietschigem, geradezu an die ewig spaßigen B-52's erinnernden Fun-Wave-Sound singt, so wie bei dem sehr unterhaltsamen Song "Halt mich zurück".

Ebenfalls gelungen: Schon lange hat niemand im Pop mehr so gekonnt mit dem Format des Doppelalbums gespielt. Auf "Betrüge mich gut", dem zweiten Song des ersten Teils, geht es - unschwer am Titel abzulesen - um die Freuden des Betrogenwerdens. Darum, dass es gar nicht so schlimm sein muss, wenn der Partner fremdgeht, solange er es eben gut macht. Ein Thema, das dann auf "Haus außerhalb", dem vorletzten Song des zweiten Teils, noch einmal aufgegriffen wird, quasi spiegelverkehrt: "Komm mich besuchen, wenn es niemand sieht", heißt es da. Es muss also dann doch irgendwie heimlich passieren. Raffiniert! Nur: Am großen Thema des Albums scheitern Die Heiterkeit. Überall dort, wo es um den Tod geht, ist das Album textlich arg platt. Würde man nicht von einem Popalbum, das die Endlichkeit des Lebens, das Versagen der Körperfunktionen, das Aufgehen im Nichts so prominent im Titel führt, immerhin ein paar interessante oder überraschend gereimte Gedanken zum Thema erwarten? Stella Sommer scheint allein darauf zu vertrauen, dass die Kombination der Worte "Pop" und "Tod" an sich schon einen superinteressanten Widerspruch ergibt. Abgesehen davon nähert sie sich ihrem Thema wie ein Klempner dem Rohrbruch: "Das Blut hört auf zu fließen, die Kälte kommt in Strömen". Ach so.

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Nur mal zur Erinnerung: Was sind denn die guten Referenzen auf internationalem Niveau? Natürlich fällt einem sofort "There Is a Light That Never Goes Out" von den Smiths ein. Jener Song, in dem Morrissey 1986 sang, dass es total okay wäre, hier und jetzt frisch verliebt von einem Doppeldeckerbus überfahren zu werden. Auch ließe sich an "Ready to Die" (1994) denken, jenen Track, in dem der drei Jahre später dann tatsächlich im Kugelhagel gestorbene New Yorker Rapper Notorious B.I.G. verbal rundum austeilte und seine Feinde ermunterte: Holt besser alle schon mal eure Knarren raus!

Das waren richtige Highlights des Deathpop. Bei Die Heiterkeit heißt es nur: "Wenn es so weit ist, werden wir es wissen. Es kommt immer anders als gedacht. Es wird in Ordnung sein." Sterben? Ja, sterben eben. Und dabei mit der Schulter zucken. Natürlich ist auch das ein Statement: diese Lakonie, das Saloppe. Das eigene Leben angeblich nicht so wichtig nehmen, sich selbst dann aber natürlich doch ziemlich, ziemlich wichtig nehmen. Fast wäre man versucht, diesen um fünf Ecken geführten und doppelt und dreifach gebrochenen Humor als speziell hamburgerisch, oder jedenfalls als recht typisch für den Golden-Pudel-Club und seine Einzugsbereiche zu bezeichnen.

Kann man mögen. Nur sollte man nicht auf die Idee kommen, die Texte zum Vergleich ins Englische zu übertragen. Nie hätte der Tod banaler geklungen. Und genau deswegen ist "Todespop" eben doch die viel bessere Bezeichnung für die Musik der Heiterkeit als "Deathpop".

© SZ vom 10.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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