In der Pinakothek der Moderne:Vom Geheimnis der Dinge

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Paul Klee hat als Maler und Zeichner einen ganzen Kosmos poetischer Welten konstruiert und mit dem vermeintlichen Widerspruch seine ganz eigene Form bildnerischer Kreativität gefunden.

Von Gottfried Knapp

Kein bildender Künstler der Moderne hat sein eigenes Werk so prägnant und so poetisch zu charakterisieren verstanden wie Paul Klee 1928 in einem Bauhaus-Text. Mit der Formulierung "konstruktion des geheimnisses" wollte Klee eigentlich den künstlerischen Schaffensprozess im Allgemeinen benennen, doch mit dieser Wörterkombination, die einen sanften Widerspruch in sich trägt - Geheimnisse lassen sich in der Regel nicht konstruieren - hat er traumwandlerisch sicher seine eigene Form der bildnerischen Kreativität, seine eigene Methode des Bilderschöpfens beschrieben.

Die große Klee-Ausstellung in der Pinakothek der Moderne in München macht den im Titel "Konstruktion des Geheimnisses" enthaltenen scheinbaren Widerspruch zum visuellen und intellektuellen Ereignis. Klee hat die Geheimnisse in seinen Bildern nicht erträumt, er hat sie konstruiert, er hat die motivischen Unbestimmtheiten methodisch erarbeitet, hat den Zauber kompositorisch erzeugt.

Zu dieser freien Form des Komponierens ist Klee freilich erst nach Jahren des bildnerischen Experimentierens vorgestoßen. Die Zeit, in der er noch Landschaftsmotive in locker naturalistischem Stil einfing, und dann die frühen Münchner Jahre, in denen er als gallig bitterer Karikaturist und grübelnder Fantast die Ausdrucksmöglichkeiten schwarzer Liniengeflechte auf weißem Grund erprobte und sich mit Alfred Kubin maß, hat er später selber vom farbig grundierten Werk abgekoppelt, das sich im Jahr 1914 zu entwickeln begann und dem konstruierenden Geist schier endlose Betätigungsmöglichkeiten bot.

Auf die Wirkungskraft der Linie, die er als Zeichner und Grafiker bis ins Extrem ausgereizt hatte, wollte Klee auch als Maler nicht verzichten. Ja, der locker gesetzte oder präzise gezogene Strich, der auf der Fläche frei delirieren, einen Gegenstand umranden, aber alles Angedeutete auch wieder zerschneiden und auflösen kann, wurde zu einem der zentralen Gestaltungsmittel des Malers Klee. In allen Entwicklungsphasen bis ins Spätwerk hinein finden sich Bilder, die ihre Kraft fast ausschließlich von dem auf den Farbgrund gekritzelten Liniengespinst beziehen.

Das zweite Element, das Klee von 1914 an der Linie konstruierend entgegengesetzt hat, ist die Farbe. Schon vor seiner Tunis-Reise hatte er, auf die Farbexperimente und Abstraktionsversuche von Kandinsky und Marc reagierend, in München erste Experimente mit Wasserfarben unternommen. Was dabei herauskam, war freilich zunächst nur ein geometrisch geordnetes Brodeln in gedeckten Farbtönen. Immerhin hatte er dabei erstmals konsequent auf Zeichengerätschaften wie Feder oder Stifte verzichtet. Nach diesen tastenden Versuchen muss die Tunis-Reise wie eine koloristische Offenbarung und eine emotionale Befreiung gewirkt haben. Vieles von dem, was er als Zeichner an Empfindungen hatte vermitteln wollen, glaubte er in den kraftvoll leuchtenden Farben zu entdecken, die in Tunesien das Straßenbild und die Landschaft beherrschten.

In zahlreichen Aquarellen hat er damals Motive aus Gassen und Gärten in duftigen Farben eingefangen. Und da er jetzt auf rahmende und trennende Striche, also auf zeichnerische Hilfsmittel ganz verzichtete, musste er, wenn die unterschiedlichen Töne nicht ineinanderfließen sollten, die mit dem Pinsel gesetzten nassen Farbflächen sauber gegeneinander absetzen.

Zu Linie und Farbe gesellte sich also die Fläche als drittes Gestaltungselement. Die fast bausteinmäßige Anordnung in sich geschlossener Farbflächen scheint Klee so fasziniert zu haben, dass er das blockhafte Nebeneinander bis zur Abstraktion weitertrieb. Er entdeckte also schon in Tunis die Möglichkeiten der motivischen Verrätselung, die Reize der Gegenstandslosigkeit, ja die Schönheiten jenes Zwischenzustands zwischen sprechender Deutlichkeit und freier Farbenlust.

Damit waren die Mittel erprobt, mit denen Klee, der ursprünglich hatte Musiker werden wollen, als Maler Melodien und Rhythmen in den Raum stellen, als Ingenieur Bildgeheimnisse konstruieren und wie ein Weltenschöpfer "im Chaos Ordnung schaffen" konnte. Im Lauf seines Lebens hat er zwar noch einige malerische Techniken in seine Arbeitsweise integriert - etwa das Bürsten von Farben durch Siebe auf Flächen, die teilweise mit Schablonen abgedeckt waren -, doch all diese Methoden wirken bei ihm so, als hätte er sie eigens für das jeweils zu konstruierende Bildgeheimnis erfunden.

Schon als junger Mann hat Klee sich einen hohe Aufgabe gestellt: Er wollte als bildender Künstler auch "Dichter, Naturforscher und Philosoph" sein. An einer realistischen Wiedergabe dessen, was in der Welt sichtbar existierte, war er also nie interessiert. Er wollte mit bildnerischen Mitteln Ungeahntes vors Auge heben, wollte Kunstwerke erschaffen, die wie Gedichte, wie musikalische Kompositionen, wie philosophische oder wissenschaftliche Formeln beim Betrachter Gedanken und Empfindungen ganz eigener Art auslösen.

Mit dieser Kompositionsmethode hat Klee eine geradezu kosmische Vielfalt an Formen des Geheimnisses geschaffen. Doch der Kreationsprozess war mit dem Abschluss der malerischen Arbeit noch nicht beendet. Als müsse er noch tiefer ins Rätselhafte vordringen, hat er für seine bildnerischen Schöpfungen literarisch vieldeutige, spielerisch davongaloppierende Titel erfunden, die, meist sichtbar ins Bild gekritzelt, dem bildnerischen Geschehen eine zusätzliche poetische Dimension verleihen, also das sanfte Mysterium noch einmal deutlich vergrößern.

Überblickt man, wie jetzt in der Münchner Ausstellung, die Welten, die Klee im freien Ineinanderfügen von Farben, Linien und Flächen erschlossen hat, dann kann man mal den Dichter am Werk sehen, der Menschen, Tiere und Pflanzen aus dem Farbgrund wachsen lässt, mal den Konstrukteur, der Flächen mit abstrakten Strukturen überzieht oder fantastisch wuchernde Bauten errichtet, mal den Musiker, der Farbklänge über das Blatt streut und Formmotive zu Fugen verdichtet.

In der poetischen Zwischenzone jedenfalls, in der Abstraktes gegenständlich werden und Gegenständliches sich abstrakt verschleiern kann, hat sich kein Künstler lustvoller betätigt als Paul Klee.

© SZ vom 29.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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