Im Kino: "Zeiten des Aufruhrs":Hoffnungslose Leere ... Wow!

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Einst fanden sie die Liebe auf der Titanic, jetzt zerstören sich Leonardo DiCaprio und Kate Winslet in Sam Mendes grandiosem Film auf der Suche nach Selbstverwirklichung selbst.

Fritz Göttler

Inventur des Lebens, das Leben als Inventur, darum geht es in dieser Geschichte, in dem Roman von Richard Yates und in dem Film, den Sam Mendes danach gedreht hat. Bestandsregelung, beständige Inventarkontrolle, das waren die Prinzipien der Fünfziger, damit hielt man seinen Betrieb und sein Leben in Ordnung im Wirtschaftswunder. Frank Wheeler, der Held der Geschichte, bringt es auf den Punkt, in einem der vielen Geschäftsbriefe, die er mit plötzlich erwachender Lust in sein Gerät diktiert (und dann versonnen noch mal abhört): "Wissen, was man hat, Komma, wissen, was man braucht, Komma, wissen, was man ohne schafft, Gedankenstrich - das heißt Bestandsregelung. Absatz." So einfach ist das. That's all, folks.

Sie tanzen dem Abgrund entgegen: Leonardo DiCaprio und Kate Winslet in "Zeiten des Aufruhrs". (Foto: Foto: dpa)

Frank ist bei einer Büromaschinenfabrik in New York angestellt, mit seiner Frau April und den zwei Kindern lebt er in einer Suburb in Connecticut, in einem netten Häuschen in der Revolutionary Road. Leonardo DiCaprio ist Frank, Kate Winslet ist April, vor mehr als zehn Jahren waren sie das Traumpaar von "Titanic", das die wahre weil zeitlose Liebe erlebte. Nun zockelt Frank Tag für Tag im Pendlerzug hin und her, zusammen mit Hunderten anderer Männer in grauem Flanell und mit Fedora, ein richtiger Wald trennt Suburb und Stadt.

Am Anfang hat es ganz andere Erwartungen und Träume gegeben. April hat von der Schauspielerei geträumt, Frank hat vage Erinnerungen ans lebendige Paris, wo er als Soldat war. April möchte zurück zu diesen ursprünglichen Impulsen, weg von der Leere und Langeweile, von der lähmenden Mittelmäßigkeit. Wir sind was Besonderes, sagt April, something special, something superior. Sie will die Resignation rückgängig machen, diesen Rückzug vom Leben. Gehen wir nach Paris, sagt sie eines Abends. Ich kann dort eine tolle Stelle kriegen, bei einem der diplomatischen Dienste. Und du kannst dich endlich selbst verwirklichen - ein Schreiber werden, vielleicht, ein Künstler.

Selbstverwirklichung, eine solche Idee konnte nur in den Fünfzigern so virulent werden, als der Wohlstand übermächtig wurde und Entfremdung die Leben zu beherrschen begann. Paris ist für die Wheelers das Anderswo, wo, der abgenudelten Phrase nach, das wirkliche Leben sein sollte. Von der existentialistischen Attitüde, die damals die ganze Welt faszinierte, haben die Amerikaner vor allem den geistesabwesenden Griff zur Zigarette und zum halbvollen Glas übernommen. Je leerer die Gesten sind, umso schöner wirken sie - Kate Winslet demonstriert hier unglaubliche Eleganz.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, warum sich die Figuren oft lachhaft vorkommen.

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Inventur bedeutet Kleinarbeit, die großen Ideen stören dabei nur. Für dieses Missverhältnis werden die Wheelers am Ende bitter bezahlen müssen. Kate Winslet hat Sam Mendes - ihrem Gatten - den Roman von Richard Yates nachdrücklich ans Herz gelegt (deutsch bei DVA und Manesse). Ein Kultbuch, das viele verfilmen wollten seit seinem Erscheinen, John Frankenheimer zum Beispiel, aber der Hype unter Schreiberkollegen und Autoren hat Yates nichts genützt. Ab und zu hat das immer noch reiche Hollywood ein Script bei ihm in Auftrag gegeben - Sachen wie einen Iwo-Jima-Film für Roger Corman! Der Roman "Revolutionary Road" hatte ein völlig verpatztes Timing, er kam 1961 einfach zu früh für die Anarchie der Sechziger.

Brutale Sterilität

Richard Yates hat einen sarkastischen, einen sehr komischen Roman geschrieben. Ein Buch aus den Kulissen heraus, sodass man all die windigen kleinen Tricks mitkriegt, mit denen die Akteure die mäßige Performance ihres Alltagslebens aufzusexen versuchen. Sam Mendes, der Theatermann, der zwischen London und New York pendelt und ein hartnäckiges Interesse fürs amerikanische Melodram entwickelt - "American Beauty", "Road to Perdition", "Jarhead" -, hat einen recht elegischen Film daraus gemacht.

Er inszeniert gern frontal, um die glatte Sterilität des Suburb-Daseins brutal sichtbar zu machen. Was seinem Konzept Widerstand leistet, ist vor allem Leonardo DiCaprio - mit einem unförmigen Körper, der einfach nicht aus dem Jungenalter herauswachsen will, einem Blick, der es nicht gelernt hat, die eigene Unsicherheit zu kaschieren. Du bist das schönste und herrlichste Ding in der Welt, lautet einer der Sirenensätze, mit denen April ihn nach Paris locken will - du bist ein Mann. Die Diskrepanz zwischen solchen Sätzen und dem Objekt, dem sie gewidmet sind, ist pathetisch und trostlos, verstörend und vital.

Dass all die Energie, die die amerikanische Nation im Krieg entwickelte, auf einmal nicht mehr gebraucht wird - darin trifft der Film kalt auch die heutige Wirtschaftsmisere. Eine hoffnungslose Leere, konstatiert Frank mal, als er mit April und John, dem Sohn eines älteren Ehepaars aus der Nachbarschaft, einen Sonntagnachmittagsspaziergang durch das Wäldchen hinter dem Haus macht. John ist begeistert - von Leere sprechen zwar viele heutzutage, erklärt er, aber hoffnungslose Leere ... Wow! Henry hat mal Mathematik studiert, aber dann hat er seltsames Verhalten an den Tag gelegt, nun lebt er in einer Anstalt und hat über dreißig Elektroschocks hinter sich. Michael Shannon spielt ihn - der Mann aus William Friedkins "Bug" -, er kennt den Punkt, an dem die Selbstzerstörung der einzige Ausweg ist, er versteht als einziger, was mit den Wheelers vor sich geht.

Einziger Ausweg: Selbstzerstörung

Vom Paris-Traum bleibt nichts mehr übrig am Ende. Von der Künstlerschaft des Mannes nur eine lächerliche kleine Zeichnung beim letzten gemeinsamen Frühstück - das eine letzte Inszenierung der Frau ist, wie alle Träume, an die der Mann geglaubt hatte. Eine Schmierenkomödie. Er erzählt vom neuen Computer, an dem er arbeitet, und nimmt eine Papierserviette, krakelt eine Box mit Spiralen. Lachhaft kommen die Figuren sich oft selber vor im Roman, "wie die verzerrten Figuren eines Zeichentrickfilms, wenn die muntere blecherne Musik anschwillt, der große Kreis sich von allen Seiten zu schließen beginnt, sich immer rascher und enger um die Handlung schließt und sie verschluckt, bis er nur noch ein flimmernder Lichtpunkt ist, der auch noch blinkt, wenn der Schriftzug "Das war's Leute!" auf dem Bildschirm erscheint."

Auch Yates selbst war womöglich eine Looney-Tunes-Figur, erfunden von Tex Avery oder Chuck Jones. In seinem Mazda kurvte er gegen Ende seines Lebens daher, in der einen Hand die unvermeidliche Zigarette - vier Päckchen am Tag -, in der anderen den Schlauch eines Sauerstoffgeräts, ohne das er zu ersticken drohte. Feuer und Sauerstoff, er wusste wohl, wie explosiv das war. Eine wandelnde Bombe - der wahre Existentialismus.

REVOLUTIONARY ROAD, USA/GB 2008 - Regie: Sam Mendes. Buch: Justin Haythe. Kamera: Roger Deakins. Produktionsdesign: Kristi Zea. Nach dem Roman von Richard Yates. Mit: Leonardo DiCaprio, Kate Winslet, Michael Shannon, Kathryn Hahn, David Harbour, Kathy Bates. Universal, 119 Minuten.

© SZ vom 14.01.2009/holz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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