Im Jahr 1945:Untergang eines Symbols

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Lange Gespräche in Potsdam: Der amerikanische Präsident Harry Truman (links) und der britische Premier Winston Churchill 1945. (Foto: Corbis Historical/Getty Images)

In der Stadt an der Havel besiegelten die Alliierten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Entmilitarisierung Deutschlands. Bei der Potsdamer Konferenz wurden folgenreiche Beschlüsse gefasst.

Von Carlos Collado Seidel

Am 14. April 1945 treffen die Bomben auch Potsdam. Die Rote Armee kämpft bereits in den Vororten von Berlin, und im Westen haben die Alliierten die Elbe erreicht. Flüchtlinge ziehen seit Monaten durch die Stadt. Tag für Tag heulen die Sirenen, die die Bomberstaffeln der Alliierten ankündigen. Über Potsdam fliegen sie jedoch stets hinweg, um ihre todbringende Fracht über der Reichshauptstadt abzuwerfen. Als nachts um 22.15 Uhr wieder einmal die Sirenen ertönen, glaubt kaum jemand, dass Potsdam das Ziel des Angriffs sein wird. Dann fallen aber die Bomben. Nach zwanzig Minuten ist alles vorbei. Nun steht die Stadt in Flammen. Elend, Zerstörung und Leid haben jetzt auch Potsdam eingeholt.

Die Garnisonkirche hat den Angriff überstanden, doch herübergewehte Glut setzt den Turm in Brand. Die Kirche brennt bis auf die Grundmauern nieder. Das ist nur die erste Prüfung für die Stadt. Wenige Tage später rückt die Rote Armee von Norden und Süden heran, um den Ring um Berlin zu schließen. Als Potsdam zur Festung erklärt wird, fällt im Trommelfeuer der sowjetischen Artillerie all das in sich zusammen, was das Bombardement überstanden hat. Am 27. April weht über der Ruine des Stadtschlosses die Rote Fahne.

Für den Sachbuchautor Jörg Friedrich steht außer Frage: Das Flächenbombardement Potsdams habe nicht nur den Zweck verfolgt, die Bevölkerung zu demoralisieren. Im konkreten Fall sei es vor allem darum gegangen, den mit der Stadt verbundenen preußischen Militarismus auszumerzen. Potsdam war ein Symbol. In der Garnisonkirche war im März 1933 der Festakt zum "Tag von Potsdam" begangen worden, an dem in Anwesenheit Hitlers und des Reichspräsidenten Hindenburg das Verschmelzen der alten preußischen Ordnung mit den jungen Kräften der NS-Bewegung inszeniert wurde. Hierher waren seit der Zeit der Befreiungskriege die Fahnen geschlagener Regimenter als Kriegsbeute gebracht worden. Hier lagen auch die sterblichen Überreste Friedrichs des Großen und seines Vaters, des "Soldatenkönigs" Friedrich Wilhelm I., bevor sie zum Schutz vor Bombenangriffen in Sicherheit gebracht und durch Attrappen ersetzt wurden. Nach Kriegsende führte die Irrfahrt ihrer Sarkophage zusammen mit dem Hindenburgs, der keinesfalls den Sowjets in die Hände fallen sollte, in die Marburger Elisabethkirche. Und während sich die Hohenzollern-Familie Anfang der 1950er-Jahre der einbalsamierten Könige annahm und sie in die Stammburg überführte, liegt Hindenburg nach wie vor unbeachtet in der mittelhessischen Stadt.

Vieles deutet indes darauf hin, dass das Ziel des Luftangriffs vom April 1945 weniger der preußische Militarismus, als vielmehr der Eisenbahnknotenpunkt ist: Leuchtbomben haben ein Viereck markiert, in dessen Mitte der Bahnhof steht. Dort befinden sich auch ein Truppentransport sowie ein Munitionszug, die an die nahe Front gebracht werden sollen. Luftbildauswertungen zeigen, dass das Gros der Bomben in diesem Bereich niedergeht, während die meisten historischen Gebäude nur wenig beschädigt werden. Erst die Kämpfe um Potsdam führen zu den großen Zerstörungen.

So bleibt auch das am Rande Potsdams gelegene Schloss Sanssouci, die Perle des preußischen Rokoko, verschont. Unbeschädigt ist auch Schloss Cecilienhof mit seinen 176 Zimmern, das in den letzten Jahren des Kaiserreichs für Kronprinz Wilhelm erbaut und nach seiner Gemahlin benannt worden ist. Hier hat Kronprinzessin Cecilie ihren Wohnsitz bis zur Flucht im Februar 1945. Diese Schlossanlage wäre wohl erst einmal nicht weiter beachtet worden, wäre nicht angesichts des Berliner Trümmerfeldes der Blick der sowjetischen Besatzer auf der Suche nach geeigneten Räumlichkeiten für die Abhaltung der letzten großen Kriegskonferenz darauf gefallen.

Die Anlage ist nicht nur groß genug. Im benachbarten Villenviertel von Babelsberg besteht auch ausreichender Wohnraum zur Unterbringung der großen Delegationen sowie des Dienst- und Bewachungspersonals. Allein Stalins Sicherheitsbedürfnis ist umfassend. Er ist von Moskau aus im eigenen Sonderzug angereist. Dabei sind nicht nur die knapp zweitausend Streckenkilometer lückenlos bewacht worden. Auch hat ein dritter Schienenstrang auf dem Gleisbett verlegt werden müssen, damit die gepanzerten Waggons mit der russischen Spurbreite darauf rollen können.

Die Bewohner der Babelsberger Villen werden kurzerhand vertrieben, und so residieren der sowjetische Generalissimus Josef Stalin, US-Präsident Harry S. Truman sowie der britische Premierminister Winston Churchill (der jedoch inmitten der Konferenz von seinem Nachfolger Clement Attlee abgelöst wird) am Ufer des Griebnitzsees nicht weit voneinander entfernt. Von hier aus begeben sie sich über Behelfsbrücken auf die andere Seite der Havel zum Tagungsort im Schloss.

Dieses bildet die Bühne für die "Dreimächtekonferenz von Berlin", einem der Ecksteine des 20. Jahrhunderts. In den Tagen zwischen dem 17. Juli und dem 2. August wird der Schlusspunkt für den Krieg in Europa gesetzt und über die Zukunft Deutschlands beraten. Dabei wird auch deutlich, dass die Kriegskoalition nur ein Zweckbündnis gewesen ist, kein tragfähiges Fundament für die Errichtung einer Nachkriegsordnung besteht und das Ringen um die Vorherrschaft in Mitteleuropa nahtlos eine Fortsetzung findet.

Schon der große, aus Geranien zusammengesetzte, rote Stern im Innenhof zeigt, wer hier der Hausherr ist. Stalin ist es auch, der sich in wichtigen Punkten wie der Festlegung der Oder-Neiße-Grenze anstelle eines weiter im Osten gelegenen Grenzverlaufs durchsetzt. Hier wird die Zwangsumsiedlung von Millionen Deutschen besiegelt. Auch erhält jede der Besatzungsmächte freie Hand, sich aus der jeweils eigenen Zone mit Reparationen zu bedienen, worunter vor allem die Menschen im sowjetischen Bereich zu leiden haben werden.

In Potsdam wird aber auch festgelegt, Deutschland als Einheit zu behandeln und nicht - wie bis dahin erwogen - in Stücke zu schlagen. Zwar führt der sich rasch vertiefende Riss zwischen Ost und West zur Entstehung von zwei deutschen Staaten, während der avisierte Friedensvertrag außer Sichtweite gerät, doch liegt in Potsdam damit die Keimzelle für den Weg zur Wiedervereinigung im Jahr 1990.

Auf der Konferenz herrscht aber nicht zuletzt auch Einigkeit darüber, dass die deutsche Gesellschaft im Zuge von Umerziehungs- und Sühnemaßnahmen entnazifiziert, demokratisiert und nicht zuletzt entmilitarisiert werden sollte. Und so zeigt sich in der Wahl Potsdams als Ort der Konferenz letztlich auch, dass die Siegermächte den preußischen Militarismus ohne Wenn und Aber bezwungen hatten. Für die Zerstörung der Symbole sorgt indes die DDR-Führung, als in den 1960er-Jahren das Potsdamer Stadtschloss und die Garnisonkirche gesprengt werden.

© SZ vom 12.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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