Im Gespräch: Rammstein:"Es gibt nur noch Aufrüsten"

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Rammsteins neue Single "Pussy" schoss auf Platz 1 der Charts, weil die Bandmitglieder im Videoclip Sex haben. Ein Gespräch über abhanden gekommene Inhalte.

Michael Zirnstein

Das Video zur Single "Pussy" ist eine Art Unabhängigkeitserklärung von Rammstein: schmierige Pornografie, die doch zeigt, dass die Berliner in Regionen vorstoßen, die nie zuvor eine deutsche Band ergründet hat - ohne Hilfe von Musikfernsehen und Radiosendern, ohne Kleidung. Nur eine niederländische Sexseite im Internet zeigte das Filmchen, 10,5 Millionen Fans und Neugierige klickten es innerhalb einer Woche an. "Pussy" landete an der Spitze der deutschen Single-Hitparade. Es ist der erste Nummer-1-Hit der Band in 15 Jahren. "Der extreme Weg hat uns extremen Erfolg beschert. Dafür mussten wir uns nicht einmal verbiegen", sagt Richard Zven Kruspe, Leadgitarrist der Band. An diesem Freitag erscheint das sechste Rammstein-Album. So provokant die Platte ist, so brutal sie mit ihrem Industrial-Metal voranprescht, sie hat auch chansonhafte Seiten ("Frühling in Paris"), klassische ("Haifisch", frei nach "Mackie Messer") und poetische ("Roter Sand"). "Liebe ist für alle da" proklamieren Rammstein pseudo-humanistisch mit dem Titel des Albums, auch für jene, für die Liebe "Blitzkrieg mit dem Fleischgewehr" bedeutet.

Die Band Rammstein möchte nicht mehr mit der rechten Szene in Verbindung gebracht werden. (Foto: Foto: Universal Music)

sueddeutsche.de: Man könnte meinen, die Single "Pussy" stamme von einer Rammstein-Parodisten-Gruppe. Diese ins Lächerliche übersteigerten Klischees vom deutschen Sextouristen: "Ich stecke meine Bratwurst in dein Sauerkraut."

Richard Zven Kruspe: Das hat eine gute Portion Humor. "Pussy" hatte anfangs einen komplett englischen Text - den fand ich so na ja. Als Till Lindemann dann die deutschen Zeilen geschrieben hatte, brauchte ich immer noch zwei Tage, um mich daran zu gewöhnen, aber dann war es für mich ein amtlicher Partysong. Richtig interessant wurde es erst, als wir beschlossen, "Pussy" als Single zu veröffentlichen und auf die Idee kamen, das Video als Hardcore-Porno zu drehen.

sueddeutsche.de: Jetzt aber Hosen runter: Sind Sie da wirklich selbst zu sehen, samt Ihrer Fortpflanzungsorgane?

Kruspe: Kein Kommentar. Passen Sie auf: Jeder Zuhörer entwickelt seine eigene Geschichte zu dem Video. Jeder entdeckt etwas anderes darin. Das ist genau so gut, wie es ist. Was wir damit meinten, wollten, dachten, das finde ich gar nicht so wichtig.

sueddeutsche.de: Gestatten Sie die spießigste aller Fragen: Würden Sie das Album Ihrer Mutter vorspielen?

Kruspe: Ich finde die Platte ja sehr gelungen, bin aber froh, dass ich zumindest das Video meiner Mutter nicht vorspielen kann.

sueddeutsche.de: Ist die aktuelle Tournee jugendfrei?

Kruspe: Das kann ich noch nicht sagen.

sueddeutsche.de: Auf Ihrer letzten Tour durften Sie nicht in München spielen, weil die pyrotechnischen Effekte die Sicherheitsauflagen sprengten. Diesmal lässt man Sie in der Olympiahalle spielen. Haben Sie die Show entschärft?

Kruspe: Ganz bestimmt nicht. Es gibt kein Abrüsten mehr, es gibt nur noch ein Aufrüsten. Auch wenn der Wunsch da wäre, einfach mal nur Musik zu machen. Klar, wir sind Entertainer, wir lieben die Show. Aber im tiefsten Herzen ist man vor allem Musiker und will dafür geachtet werden.

sueddeutsche.de: Die Scorpions lösten das Problem mal mit Orchester, mal unplugged.

Kruspe: Wir hatten tatsächlich die Idee für eine Unplugged-Geschichte. Die würde aber dann ganz anders aussehen als alle anderen es machen. Da freue ich mich tierisch drauf. Aber jetzt hat erst mal das neue Album Vorrang, wir spielen 200 Konzerte in den nächsten zwei, drei Jahren.

sueddeutsche.de: Sie sagten zu Ihrer Live-DVD "Völkerball" vor drei Jahren: Das ist das Ende einer Ära. Was hat sich geändert?

Kruspe: Ich meinte das vor allem gefühlsmäßig. Bei jedem neuen Album gibt es eine andere Energie innerhalb der Band. Das aktuelle Album war bis jetzt die schwerste Geburt. Es war das erste Album, das wir wirklich alle zusammen intensiv als Band geschaffen haben, und jeder hatte unterschiedliche Meinungen. Mit sechs Kapitänen an Bord ist es schwer, den richtigen Kurs einzuschlagen.

sueddeutsche.de: Sie sind sich vor den Aufnahmen aus dem Weg gegangen. Offenbar hat das die Lage nicht entspannt.

Kruspe: Nein, denn du veränderst dich ja nicht als Person. Im Gegenteil, wenn du älter wirst, brauchst du noch mehr Zeit, Entscheidungen zu treffen. Du versuchst dem Stress zu entkommen, indem du sagst: Da reden wir morgen noch mal drüber. Früher hat man das einfach schnell ausgekämpft. Ich arbeite schon sehr gerne im Team, aber ich sage auch gerne, wo`s langgeht. Das geht, glaube ich, uns allen so.

sueddeutsche.de: Umso erstaunlicher, dass Rammstein seit 15 Jahren in der Urbesetzung spielen.

Kruspe: Ja, wir sind zusammengeblieben. Zoff gab es immer, aber noch nie war es so nervenaufreibend wie bei diesem Album. Jeder konnte zu allem was sagen. Wir sind eine Demokratie, du hast quasi ein Sechs-Parteien-System in der Band.

sueddeutsche.de: Sind Sie überhaupt noch Freunde?

Kruspe: Ja, wir sind Freunde, wenn es nicht um die Band geht. Innerhalb der Band sind wir keine Freunde.

sueddeutsche.de: In "Mehr" geht es um die Gier, also um das, was zur Wirtschaftskrise führte. Fordern Sie und Ihre Plattenfirma von Rammstein nicht auch immer: "Mehr, mehr, mehr!?"

Kruspe: Alle denken, die Krise sei vorbei. Sie ist natürlich nicht vorbei, alle konsumieren weiter. Das ist eine interessante Zeit, in der ich mir viel mehr Auseinandersetzung mit dem Thema gewünscht hätte. Deswegen sagt der Song für mich noch einmal deutlich, in welcher Lage wir uns befinden. Wir inklusive. Ich habe die Krise sofort als Chance gesehen: darüber nachzudenken, wo und wie wir leben. Ich habe mich viel mit Ökonomie beschäftigt, weil ich früher selbst viel Geld verloren habe. Ich wollte es verstehen: das Prinzip des Kapitalismus, das ständige Konsumieren als Motor von allem. Alle glauben, Konsum könnte Glück erzeugen.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, was Rammstein glücklich machen würde.

sueddeutsche.de: Was macht Sie glücklich?

Die neue Single der Berliner Band heißt "Pussy". (Foto: Foto: Frederic Batier/oH)

Kruspe: Es gibt zwei Möglichkeiten, ein Leben zu leben - ein glückliches Leben oder ein bedeutungsvolles Leben. Ich stecke gerade dazwischen: Natürlich will ich ein bedeutungsvolles Leben leben, indem ich Musik mache. Auf der anderen Seite habe ich eine extreme Sehnsucht danach, glücklich zu sein. Aber beides kommt nicht zusammen.

sueddeutsche.de: Kann Musik nicht auch glücklich machen?

Kruspe: Die Art, wie wir uns mit Musik beschäftigen, hat immer etwas mit Leid zu tun. 80 Prozent der besten Musik sind unter Leid, Depression oder Drogeneinfluss entstanden. Auch meine kreative Kraft liegt in diesem Leiden. Selbst wenn etwas eigentlich schön ist, versuchst du, Leiden daraus zu kreieren. Weil schaffen bedeutet: du bist. Aus diesem Kreislauf kommst du nicht raus.

sueddeutsche.de: Das neue Album ist eindeutiger als die Alben zuvor. Haben Sie Angst, missverstanden zu werden?

Kruspe: Es gibt einen Punkt, in dem möchte ich nicht mehr missverstanden werden: Ich möchte nicht mit der rechten Seite in Verbindung gebracht werden - was uns früher oft unterstellt wurde. Alles andere ist mir egal. Nach vierzig Jahren weiß ich, wo ich stehe.

sueddeutsche.de: Haben Sie auch kein Problem, dass manche Fans auf kritische Lieder wie "Waidmanns Heil" abtanzen wie am Ballermann?

Kruspe: Wenn du schreibst, denkst du nicht daran, was mit deinem Song passiert - du hast sowieso keinen Einfluss darauf. Das zu verhindern, würde bedeuten, mich selbst zu zensieren.

sueddeutsche.de: Beim Musikmachen sind Sie hemmungslos?

Kruspe: Wir haben eine naive Spontaneität.

sueddeutsche.de: Da erwacht die Pubertät wieder.

Kruspe: Ja! Natürlich hat das auch etwas mit Kindsein zu tun. Kinder machen vieles spontan, ohne Angst, ohne zu überlegen. Dieses Gefühl haben wir manchmal mit Rammstein auch.

sueddeutsche.de: Sie verarbeiten in "Wiener Blut" das Inzestverbrechen in Amstetten und das Schicksal der entführten Natascha Kampusch. Was reizt Sie an solchen düsteren Themen?

Kruspe: Solche Geschichten schocken mich wirklich. Und ich bin außerdem auf eine etwas kränkliche Art sehr an den Hintergründen interessiert: Warum ist jemand in der Lage, so etwas zu tun? Mich haben an den Geschichten des Lebens immer die dunklen Seiten mehr interessiert.

sueddeutsche.de: Haben Sie im Ausland aus anderen Gründen Erfolg als in Deutschland?

Kruspe: Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube, dass die Leute, egal wo, ein Ohr für Authentizität haben. Gut, es klingt vielleicht auch exotisch für Ausländer, die deutsche Sprache zu hören in der Rockmusik. Aber das Gefühl, das man beim Hören eines Rammstein-Albums bekommt, ist global dasselbe.

sueddeutsche.de: Trotzdem könnte Ihr Album gerade im Ausland wieder die alte Angst vor den Deutschen schüren: lauter Gewalttäter und Sexmonster.

Kruspe: Na ja, wir haben ja auch eine humoristische Seite. Die sehen viele Leute im Ausland dann doch eher als in Deutschland. Und wir haben eine lyrische Seite. Die Menschen im Ausland haben ein extremes Interesse an der deutschen Sprache. Was die alles von Goethe lesen!

sueddeutsche.de: Warum, glauben Sie, haben viele Deutsche ein Problem mit Rammstein?

Kruspe: Die Leute im Ausland haben, anders als die Deutschen, einfach nicht das Problem mit ihrer eigenen belasteten Identität und Geschichte.

sueddeutsche.de: Als Sie vor Rammstein in der DDR mit Ihrer Band "Das Auge Gottes" Musik machten, fühlten Sie sich da als Widerstand?

Kruspe: In der DDR warst du ja schon Widerstand, wenn du überhaupt in einer Band gespielt hast. Schon der Stil, in dem man leben wollte, war Widerstand. Dass wir so zensiert wurden im Osten, ist vielleicht auch ein Grund für diesen extremen Drang nach Freiheit bei Rammstein.

sueddeutsche.de: Was würden Sie auf der Bühne machen, wenn Sie die Freiheit und das Geld hätten, alles zu tun, was Sie wollen?

Kruspe: Alles wäre wohl noch mächtiger. Es ist schade, dass "Pink Floyd" die Sache mit der Mauer gemacht haben. Ich hätte dazu extreme Lust gehabt, das großartig zu inszenieren. Das ist ja wie für uns geschrieben: Maueraufbau, Mauerfall.

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