Hugo Ball:Gespenster  in die Kaffeetassen

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Der "Ambrosianische Stier" im magischen Quadrat. (Foto: Klaus Detjen, Wallstein)

Himmelfahrt und Höllensturz, Dada pur: Hugo Balls während des Ersten Weltkriegs entstandener Roman "Tenderenda der Phantast" wurde wieder aufgelegt.

Von Lothar Müller

Eine Stadt, deren Name nicht genannt wird, gerät in Unruhe. Es geht in ihr das Gerücht um, ein neuer Gott werde erwartet. Bulletins warnen vor den kreischenden Scharen der Engel, die wütend den Turm der Stadt umfliegen. Ein lauer Abend bricht an, und dann: "Auftreten eines Scharlatans, der auf dem Marktplatz eine Himmelfahrt in Aussicht stellt." Es wird aber nichts aus der Himmelfahrt. Zwar hält der Seher eine Ansprache im Prophetenton, aber die Skepsis, die ihm entgegenschlägt, nimmt ihm den Wind aus den Segeln. Es scheint, als sei er halt nur ein Scharlatan. Aber die Unruhe bleibt.

So beginnt "Tenderenda der Phantast", eine lockere Folge von Prosastücken, an denen der Autor Hugo Ball (1886-1927) sechs Jahre lang gearbeitet hat, von Herbst 1914 bis 1920. Ein Roman sollte es am Ende sein, aber in die Romanform hat hier der Krieg eingeschlagen und nur Granatsplitter übrig gelassen. Mitten in der Unruhe und den Splittern steht der Titelheld, Laurentius Tenderenda. Er ist Phantast und "Kirchenpoet" zugleich, und der Erzähler, der wie im barocken Roman jedem Kapitel einen Aufriss voranstellt, hebt sein "himmelstänzlerisches Wesen" hervor.

Hugo Ball gehörte zu den Gründungsfiguren des Dadaismus, einige dieser Prosastücke trug er 1916/17 im Cabaret Voltaire und in der Galerie Dada in Zürich vor. Die Nähe zum Lautgedicht und das Spiel mit der Kindersprache als Lockerungsübung zur Auflösung der festen Verknüpfung von Laut und Gedanke trug die Dada-Bewegung im Namen. Kostümierung, Narrenkleider und Narrenschellen gehörten dazu, wenn Hugo Ball auftrat, aber im fröhlichen Mummenschanz ging der Hexensabbat nicht auf, den er im Kapitel "Die roten Himmel" als Lautgedicht in seinen "Tenderenda" hineinmontierte.

Denn die blasphemische Revue mit betenden Hunden, die in Verzückung die Pfoten falten, falschen Propheten und einem Gott, der dem Tod die Kategorientafel der Philosophen auf den Kopf schlägt, erschöpft sich nicht im Abgesang auf Religion und Kirche als Stützpfeiler der alten, zerbrechenden Ordnung.

"In dem Maße, in dem sich das Grauen verstärkt, verstärkt sich das Lachen."

Hugo Ball war in den Jahren, in denen er an "Tenderenda der Phantast" arbeitete, auf dem Rückweg zum Katholizismus seiner Herkunftswelt, und diese autobiografische Bewegung verband sich mit der Neigung der Avantgarden, für die Darstellung des Zerfalls der bürgerlichen Welt die sprachlichen Hohlformen der Religion zu nutzen. Und das klingt hier so: "Aus diesem Lande der Pflichtenkäfer, der naßkalten Kuchen und der mit Totenscheinen gepflasterten Orte führe uns weg, o Herr. // Höre auf zu klappern mit Holz, Kupfer, Bronze, Elfenbein, Stein und den anderen gewaltigen Trommeln. // Höre auf, unsere Toten erscheinen zu lassen und unsere Wärme zu stören, darum bitten wir dich, o Herr. // Höre auf, die Gespenster uns auf den Tisch, die Gespenster uns in die Kaffeetassen zu setzen, und kein Inkubus raßle im Treppengebälk."

An Litanei, Hymnus und Gebet lehnte Ball viele Lautgedichte an, die Sprache der Heiligenlegenden und der Bibel ("Da machte sich alles rachitische Volk der Umgebung auf . . .") schmolz er in diesen "satirisch-phantastisch-pamphletistisch-mystischen Roman" ein. Und für die Handlungssplitter griff er auf Höllenfahrt, Himmelfahrt und Totentanz zurück. Warum er das macht, verrät gelegentlich der Erzähler: "Zu sagen ist nichts mehr. Vielleicht, daß etwas noch gesungen werden kann." Oder: "In dem Maße, in dem sich das Grauen verstärkt, verstärkt sich das Lachen." Keine Frontberichte gibt es hier, aber "das große Sterben war wieder da", und die Toten singen: "Erbarme dich, o Herr, unseres Aufenthaltes in Sud und Latrine . . ."

Aus dem Nachlass Hugo Balls wurde "Tenderenda der Phantast" erstmals 1967 veröffentlicht. Diese von Klaus Detjen gestaltete, mit einem informativen Nachwort und einem Lautgedicht-Plakat versehene Ausgabe macht die Unruhe der Prosa in wechselnden Typografien und Schriftgraden sichtbar und fügt den Textkapiteln eine Kaskade schwarz-weißer Illustrationen hinzu, in denen Schrift und Bild miteinander tanzen.

Hugo Ball: Tenderenda der Phantast. Herausgegeben, gestaltet und mit einer Nachbemerkung von Klaus Detjen. Typographische Bibliothek, Band 12. Mit einem Nachwort von Eckhard Faul. Wallstein Verlag, Göttingen 2015. 104 Seiten, 29 Euro.

© SZ vom 14.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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