Hörenswert:Schmerz und Freude

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Luis Borda ist der aktuell beste Gitarrist des Tango Nuevo. Mit der Sängerin Georgia Velivasaki hat er das Album "Aleli" herausgebracht

Von Oliver Hochkeppel

Man sollte sich vor dem Klischee des Leidens als Quelle künstlerischen Schaffens hüten. Oft ist die größte Musik durch Entfremdung und Sehnsucht nach Heimat entstanden. Was besonders für den Tango Nuevo gilt. Sein Erfinder Astor Piazzolla war das argentinische Kind italienischer Emigranten und wuchs zunächst in den USA auf. Wie er floh dann auch Dino Saluzzi vor der Militärdiktatur. Luis Borda schließlich, aus der nächsten Generation und der wichtigste Gitarrist unter den Tango Nuevo-Komponisten, lebt, wenn auch aus weniger dramatischen Gründen, seit den Neunzigerjahren in Deutschland.

Auch Borda suchte in den Begegnungen mit Musikern aus aller Welt seinen eigenen, ursprünglichen Beitrag. Aus einer weiteren außergewöhnlichen Kombination, der Zusammenarbeit mit der kretischen Sängerin Georgia Velivasaki, ist eines seiner zwingendsten Projekte entstanden: Das soeben beim Enja yellowbird erschienene Album "Aleli - de Creata a Buenos Aires". Auch wenn virtuose Gitarrenlinien und eine präsente Stimmgewalt mitreißen, ein heiteres Werk ist dies nicht. Schon der lyrische Name des Albums steht für eine der Vermissten zu Zeiten der argentinischen Militärjunta. Los geht es mit "Vergüenza", "Schande", einem dramatischen, unter dem Eindruck der Vorgänge auf Lampedusa geschriebenen (An)Klagelied. In "La Pastora" rollt Borda die Geschichte der 1492 aus Spanien nach Nordgriechenland vertriebenen sephardischen Juden auf, die dort für eine kulturelle Blüte sorgten, bis sie Im Zweiten Weltkrieg ermordet wurden.

So mischt sich in Bordas argentinisch-kretisch-deutsch-französischer Band vieles auf mehreren Ebenen - musikalisch, instrumental, inhaltlich. Es ist eine musikalische Verarbeitung der Tragödie der Emigration, des Verlustes von Heimat und der Suche nach verlorenen Orten. Dass nichts davon belehrend oder kitschig wirkt, ist der Ausdruckskraft von Georgia Velivasaki zu verdanken. Die Sängerin, die auch Gedichte und Kinderbücher schreibt, berührt. Und verbindet Spanisch und Griechisch, als ob das schon immer zusammen gehört hätte. Wer erlebt, was sie aus Bordas zweischneidiger Hymne auf das Viertel San Telmo von Buenos Aires macht, der fühlt Schmerz und Freude in sich aufsteigen. Man soll das live hören, bei der CD-Präsentation im Instituto Cervantes oder am 13. November in Aichach auf Schloss Blumenthal.

Luis Borda & Georgia Velivasaki: "Aleli" (Enja); live: Freitag, 6.November, 20 Uhr, Instituto Cervantes, Alfons-Goppel-Straße 7

© SZ vom 06.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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