Hörbuch:Stimmkraft

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Ein Feature mit vielen O-Tönen aus der Weimarer Republik: Thomas Mann, Gerhart Hauptmann, Joachim Ringelnatz und andere Zeitgenossen äußern sich zu einem etwas zu breiten Spektrum an Themen.

Von Jens Bisky

"Das Alte und Morsche, die Monarchie ist zusammengebrochen! Es lebe das Neue ..." - Die Worte, mit denen Philipp Scheidemann am 9. November 1918 vom Westbalkon des Reichstags stimmkräftig die Republik ausrief, waren gut gewählt. Aber hat er die spontane Rede wirklich genau so gehalten, wie wir sie kennen? Auf der Fotografie des historischen Augenblicks ist kein Mikrofon zu erkennen. Das berühmte Tondokument entstand erst vierzehn Monate später, als der Sozialdemokrat Scheidemann seine Ausrufung der Republik auf Schallplatte nachsprach.

Hans Sarkowicz konfrontiert gleich zu Beginn seines Features die Schallplattenrede mit dem Text eines Flugblatts, das die Sozialdemokraten Friedrich Ebert, Otto Landsberg und Scheidemann am 9. November herausgaben. Damit schafft er die nötige Skepsis, stand doch in den wenigen Jahren der Weimarer Republik jedes Ereignis im Deutungsgewitter. Gerade an der Beurteilung des November 1918 schieden sich die Parteien. Sarkowicz, im Hessischen Rundfunk für Literatur und Hörspiel zuständig, hat neben den berühmten Reden einige weniger bekannte O-Töne aus dem Rundfunkarchiv zusammengetragen. Eine konventionelle historische Erzählung von der "ungeliebten Demokratie" ordnet sie ein. Außerdem kommentieren der Historiker Ulrich Herbert und der Germanist Helmuth Kiesel die Debatten und Konflikte. Man hört Wahlwerbung, damals auf Schallplatten verbreitet, Auszüge aus Hörspielen, etwa nach Alfred Döblins "Berlin Alexanderplatz", Gerhart Hauptmann und Thomas Mann liefern geistige Orientierung, Joachim Ringelnatz fordert zum Klimmzug auf, auch diskutieren Johannes R. Becher und Gottfried Benn über Tendenzdichtung, Arnold Schönberg fordert mehr Sendezeit für Neue Musik, Adolf Hitler beschwört die Einigkeit des Volkes.

Nichts davon ist langweilig, aber es werden zu viele Themen angeschnitten, zu viele Berühmtheiten haben einen kurzen akustischen Auftritt. Der Ehrgeiz, von Politik und Literatur und einigem mehr zugleich zu erzählen, führt nicht zur wechselseitigen Erhellung. Während das O-Ton-Panorama enttäuscht, überzeugen die Geschichtsschreiber. Helmuth Kiesel erklärt, wie aus dem Schrecken des Krieges, bei gleicher Beschreibung, gegensätzliche Lehren gezogen wurden. Die einen wollten künftige Schlachten verhindern, die anderen dem Kriegstod nachträglich Sinn verleihen durch Wiedererstarken der Nation. Wäre Hitler nicht zum Reichskanzler ernannt worden, so Ulrich Herbert in einer kontrafaktischen Überlegung, wäre wahrscheinlich die SPD wieder erstarkt. Konzentration auf diese Fragen hätte dem Feature gut getan.

Hans Sarkowicz: Die ungeliebte Demokratie. Die Weimarer Republik zwischen rechts und links. Der Hörverlag, München 2018. 2 CD, 2h 44 min, 18 Euro.

© SZ vom 18.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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