Historisches Sachbuch:Verkehrte Welt

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In drei Wellen suchte "der schwarze Tod" Europa heim: Der Historiker Paul Slack erzählt, wie die Pest die Geschichte veränderte und der Kampf gegen sie den Machtanspruch des Staates legitimierte.

Von Stephan Speicher

Am ersten Tag des "Dekamerons" gibt Boccaccio eine berühmte Beschreibung der Pest, des "Schwarzen Tods" in Florenz. Er schildert die Symptome der Krankheit, die Qualen der Kranken und die moralische Verwirrung der Gesellschaft. Angesichts der tödlichen Gefahr wurden die Menschen "in ihren Sitten ausschweifend" und vergaßen ihre Pflichten. Die Haustiere aber, obwohl oft verjagt von ihren Herren, gingen zur Weide und kehrten abends zurück "wie vernünftige Wesen ohne Führung eines Hirten". Es ist ein alter Topos, der hier auflebt, der Topos der verkehrten Welt: Die Menschen verlieren den Verstand, nun sind es die Tiere, die vernünftig sind. Aber man ahnt, warum die Pest als schlimmste aller Seuchen ein solche Faszination ausübt: Sie hebt die Konventionen des Zusammenlebens auf.

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