Historienmalerei:Laszive Göttin

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Mythologie und Geschichte lieferten der Malerei im 19. Jahrhundert zwar die Themen. Doch letztendlich zeigt sich in den Werken bereits die Neuzeit. Gerade die Frauenakte veränderten sich grundlegend.

Von Sandra Danicke

Eine junge Frau und ein junger Mann, die nahezu nackt einem Hahnenkampf zuschauen - die Szene ist grotesk, ihr Realitätsgehalt gleich null. Wann und wo sollte sich ein solches Ereignis zugetragen haben? Die wenigen Kleidungsstücke und der Ort der Handlung mit der Sphinx-Skulptur im Hintergrund weisen auf das antike Griechenland hin, wo der Hahnenkampf tatsächlich eine beliebte Wettkampfpraxis war, genauso wie später in Rom. Dass man ihm unbekleidet und in trauter Zweisamkeit zuschaute, davon ist allerdings nichts bekannt.

Das Gemälde mit dem Titel "Junge Griechen beim Hahnenkampf" (1846), das Jean-Leon Gérôme 1847 zum Salon einreichte, verhalf nicht nur ihm selbst zum Durchbruch. Es trieb auch die Entwicklung der Historienmalerei in eine neue Richtung. Statt pathosgeladener Geschichten, in denen sagenhafte Helden wie Perseus oder Orestes in theatralisch-steifen Posen agieren, wie man sie zu Beginn des 19. Jahrhunderts favorisierte, begann man nun vermehrt triviale Begebenheiten in antikem Gewand zu schildern, denn der Wunsch, sich aus der Realität in dekorativ ausstaffierte ferne Zeiten und Länder zu flüchten, war ungebrochen. Nur rückte das Beiläufige, Anekdotische in den Mittelpunkt. So zeigt etwa Jules Lefebvres "Nymphe und Bacchus" von 1866 Frau und Kind beim neckischen Spiel mit einem Vogel - flankiert von einer römischen Statue. Die strengen Gattungsgrenzen zwischen Genre- und Historienmalerei weichten fast vollständig auf.

Die systematischen Ausgrabungen in Herculaneum und die Freilegung von Pompeji hatten bereits im 18. Jahrhundert die Kenntnis antik-römischer Malerei erweitert. Vor allem durch den Griechischen Unabhängigkeitskrieg (1822 - 1832) wurde schließlich das Interesse an der antiken griechischen Zivilisation entfacht. Antike Geschichten gehörten fortan nicht nur zum bevorzugten Repertoire der Historienmaler. Sie waren regelrecht in Mode, wie man auch an einer Reihe von Operetten der Zeit (etwa an Jacques Offenbachs "Orpheus in der Unterwelt") sehen kann. Auch in Kunst und Kunsthandwerk des Zweiten Kaiserreichs erreichte der antike Look eine enorme Popularität.

Nachdem der deutsche Altertumsforscher Heinrich Schliemann in den 1870er- Jahren Troja und Mykene ausgegraben hatte, wurde das Interesse an den Geschichten der Götter und mythischen Sagengestalten noch einmal befeuert - auch weil sie oftmals Anlass für erotische Inszenierungen boten.

Mit einer Fülle raffinierter archäologischer Details in seinen Bildern, von antiken Mosaiken über pompeijanische Fresken bis hin zu griechischen Vasenmotiven, wurde Jean-Leon Gérôme zum Anführer der Schule der sogenannten Neogriechen, zu denen unter anderen auch Gustave Boulanger, Jean-Louis Hamon und Henri-Pierre Picou gehörten. Dass Gérôme es verstand, seine Gemälde mit sinnlichen Frauenkörpern zu garnieren, mag seine Popularität noch befördert haben. In "Der König Kandaules" zum Beispiel, das eine Episode aus dem Leben des lydischen Herrschers abbildet, der seine schöne Frau Nyssia nackt einem anderen Mann präsentiert haben soll und dafür schließlich ermordet wurde, steht naturgemäß ein Frauenakt im Zentrum. Dass das Geschehen im 8. Jahrhundert vor Christus angesiedelt ist und die Skulptur der indischen Gottheit Ganesha, die im Bild zu sehen ist, hier gar keinen Sinn ergibt, nahm der Maler offenbar in Kauf.

Mit dieser neuen Form der Historienmalerei kamen Gérôme und seine Mitstreiter dem Geschmack der zunehmenden Gruppe von Privatsammlern entgegen, denen eine zarte Nackte als Motiv inzwischen lieber war als ein heroischer Männerkampf, dessen Darstellung in der modernen Lebenswelt als obsolet empfunden wurde. Anstatt als tugendhafte, sittsame Idealschönheiten wurden griechische Göttinnen und mythologische Frauengestalten nun häufig als laszive Femmes fatales dargestellt. Ein Bild wie Alexandre Cabanels "Geburt der Venus" von 1863, das einen makellosen Akt zeigt, der auf einer Welle zu schweben scheint, wurde vom Salonpublikum nicht nur gefeiert, sondern auch kritisch beäugt. Während der traumschöne Körper noch immer mehr an eine Skulptur als an einen realen Menschen erinnert und damit auf die traditionelle Historienmalerei verweist, erregte ihr Blick Missfallen, der als herausfordernd und lüstern aufgefasst wurde. Von einer "Aneignung der Vergangenheit auf stilistischer Ebene" schreibt Nerina Santorius im Katalog.

16 Jahre nach Cabanel präsentierte William Adolphe Bouguereau 1879 ebenfalls eine "Venus" im Salon, die eine Welle heftigster Kritik auslöste, weil man sie als vulgär empfand. Das mag nicht zuletzt daran liegen, dass die Göttin der Liebe von Pärchen bildenden Tritonen und jungen Frauen umringt wird, die sie nicht nur anhimmeln, sondern auch eine sexuelle Komponente ins Bild bringen. Die Künstler, so schimpften die Kritiker nicht ganz zu Unrecht, würden in Wahrheit keine antiken Göttinnen malen, sondern zeitgenössische Pariserinnen - ein Affront zu jener Zeit. Das ästhetische Ideal der edlen Tugend werde so auf allzu banale Weise entleert. Der Kunsthistoriker Ernst Gombrich hat das Bild in den 1970er-Jahren mit der Darstellung eines Pin-up-Girls verglichen.

Einen direkteren Weg schlug Édouard Manet ein, als er im Pariser Salon von 1865 seine selbstbewusste "Olympia" ausstellte und damit einen der größten Skandale der Kunstgeschichte auslöste. Der Künstler tat gar nicht erst so, als sei die Frau eine Gestalt aus der Mythologie. Das Einzige, was an das antike Griechenland erinnert, ist ihr Name.

© SZ vom 14.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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