Herbst in der Hose:Potenzhirsch in der Andropause

Lesezeit: 3 min

Ralf König erzählt vom Altwerden seines Comic-Paares Konrad und Paul.

Von Christoph Haas

Szene-Comics kommen gerne wild daher, sind aber in Wahrheit ziemlich bieder. Allzu liebevoll bedienen sie die allen Subkulturen eigene Neigung, sich narzisstisch von der großen, bösen Welt abzuriegeln und kollektiv gültige Verhaltensregeln einzuklagen. Was den einen ihr Bauernroman-Heft, das sind dem bejahrten Kiffer seine "Freak Brothers".

Ralf König ist der Gefahr, es sich in einer exklusiven Kuschelzone gemütlich zu machen, allerdings schnell aus dem Weg gegangen. Seit er in den frühen Achtzigern mit dem Zeichnen angefangen hat, sind die diversen Facetten des Schwulseins zwar Dreh- und Angelpunkt seiner Geschichten. Aber er hat sich stets neue Stoffe und Themen erarbeitet, sei es mit freien Adaptationen von Aristophanes ("Lysistrata", 1987) und Shakespeare ("Jago", 1988), sei es in seinen kritischen Auseinandersetzungen mit Islam ("Dschinn Dschinn", 2005-2006) und Christentum ("Prototyp", "Archetyp", "Antityp", 2008-2010). Über dem Speziellen hat König das Universelle nie aus den Augen verloren. Mit seinem neuen Comic ist er nun beim allgemein Menschlichen schlechthin angekommen: bei der Tatsache, dass wir alle altern und sterben müssen.

Wenig später . . . Die Comic-Floskel zeigt hier das Ablaufen der Lebensuhr

Im Mittelpunkt von "Herbst in der Hose" steht das in Köln lebende Paar Konrad und Paul, dem König schon mehrere Bände gewidmet hat. Konrad ist ein sensibler, introvertierter Musiklehrer, Paul ein notorisch untreuer Draufgänger - im Internet-Portal "GayRomeo" hat er sich das prahlerische Pseudonym "Potenzhirsch" gegeben.

Umso härter trifft es ihn, als er, gerade 48 geworden, von einer Freundin Konrads erfahren muss, dass es auch für ihn ein Klimakterium geben wird, die Andropause: "Das ist Griechisch: Andro heißt Mann und Pausis heißt Ende." Ein Leben, erst mit weniger Sex, dann mit gar keinem mehr? Paul vermag es nicht zu fassen. Aber die immer zahlreicheren Indizien des Älterwerdens sind nicht zu übersehen. Erst ist es nur die geliebte, in vielen heißen Nächten getragene schwarze Lederhose, die sich über dem Bauch nicht mehr schließen will; später muss eine Brille sein, die Paul wie einen verdutzten Maulwurf dreingucken lässt. Die ergrauten Bart-, Brust- und Bauchhaare, sorgfältig gefärbt, verraten beim Oben-ohne-Tanz im Schwarzlicht der Disco ihre ursprüngliche Färbung. Und schließlich, in einer nicht allzu fernen Zukunft, sitzen Paul und Konrad im Altersheim für Schwule, wo die Sitztanzgruppe zu "If I could turn back time" von Cher mühsam die Arme hochreißt.

Das Motto zu "Herbst in der Hose" stammt von George Michael: "Unser Grauen davor, alt und dick zu werden, ist bemerkenswert, weil die meisten Menschen auf der Welt keines dieser beiden Probleme haben." Dieser Ton einer selbstironischen Relativierung prägt den ganzen Comic, der zudem in erzählerischer Hinsicht sehr abwechslungsreich ist. Zwischen die Kapitel sind einseitige Gags eingeschoben - auf solche One-Pager war König als junger Zeichner spezialisiert -, und an einer Stelle findet sich ein Auszug aus der Komödie "Die Falten", in der sich der (erfundene) antike Dichter Haematokrit mit den Schrecknissen des Alters auseinandersetzt.

Der Humor von Ralf König ist derb und gerne auch mal richtig vulgär. Hier aber gelingen ihm auch sehr starke leise Momente, etwa wenn Konrad, mit einem Keyboard ausgerüstet, seine demente Mutter aufmuntern will oder wenn am Beginn jedes Kapitels in einem Kästchen steht: "Wenig später ..." Das ist ein Satz, der sich in zahllosen Comics findet, um klarzumachen, dass seit dem letzten Panel ein bisschen Zeit verflossen ist. Nur ist es hier eben meistens ein größerer Zeitraum - auch wenn Paul und Konrad dies gar nicht empfunden haben. Aus einer Floskel wird so ein lakonisch-melancholisches Statement zum unmerklichen Ablaufen der Lebensuhr.

"Herbst in der Hose" beginnt und endet an Silvester. Am Anfang schießen zu dem Ruf "Frohes neues Jahr!" reichlich Raketen empor. Am Ende sind es, in kurzem Abstand, allein zwei. Es bleibt still. Dann sind, auf der letzten Seite, nur die weiße Silhouette der Stadt und der tiefschwarze Himmel zu sehen.

Ralf König (Text und Zeichnungen): Herbst in der Hose. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2017. 176 Seiten, 22,95 Euro.

© SZ vom 26.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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