Gute Nachbarn:Zu eckig, zu weiß

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Wassily Kandinsky und Paul Klee wohnten in Dessau als Bauhauslehrer Tür an Tür. Sie pflegten regen Austausch, doch manchmal wurde es Klee zu eng.

Von Kia Vahland

Ein weißer Kasten zum Wohnen? Das hatte sich Wassily Kandinsky anders vorgestellt. Sicher, der russischstämmige Maler war ein bedeutender Avantgardist, einer der Erfinder der Abstraktion - aber bitte, bunt und dynamisch sollte seine Moderne sein. Nicht leichentuchweiß, eckig und mit fabrikhallengroßen Fenstern, in die jeder reinschauen konnte, wenn das Ehepaar Kandinsky beim Frühstück saß. Der Künstler fremdelte mit dem von Walter Gropius errichteten Meisterhaus in Dessau. Dessen Idee, einen "klaren organischen Bauleib" zu schaffen, der "nackt und strahlend" dastünde, war dem ersten Bewohner Mitte der Zwanzigerjahre suspekt. Erst einmal malte er eine Wand schwarz an und stellte alte Möbel in die hellen Hallen. Eine andere Wand bedeckte er mit Blattgold wie eine russische Ikone, auch Hellrosa und Violett kamen im Haus zum Einsatz. Doch die klar gegliederte Wohnung wirkte nie so urig versponnen wie das alte Haus, in dem Kandinsky einst, damals noch mit Gabriele Münter, in Murnau gewohnt hatte.

Zwei Umstände trösteten den Bauhauslehrer in Dessau: der Ausblick aus den riesigen Fenstern in ein Kiefernwäldchen und die Nachbarschaft mit Paul Klee, der in der anderen Hälfte des Doppelhauses lebte. Auch Klee hatte seine Wände bemalt, in gedämpften Mischtönen. Die beiden verbrachten viel Zeit miteinander, tranken Tee im Garten, hörten Jazz auf dem Grammofon, fotografierten einander. Manchmal wurde es Klee zu eng, dann klagte er in Briefen, die Kandinskys seien seine "Wachtmeister".

Zu diesem Zeitpunkt war er und nicht mehr Kandinsky der erfolgreichere Maler, ein Liebling der deutschen Kunstkritik. Das neidete sein Nachbar und Freund ihm vielleicht manchmal, doch die beiden verband mehr, als sie trennte. Schließlich war ihr Ausdrucksmittel, die Malerei, am Bauhaus keineswegs das Leitmedium. Sie galt manchen Schülern und Kollegen als altmodisch, und Gropius, der Direktor der Schule, favorisierte die angewandten Künste, das Design.

Klee und Kandinsky kämpften also in Dessau für eine Kunst, die nur den eigenen Regeln gehorchen sollte. Dieses Ziel verfolgten sie im Unterricht höchst unterschiedlich. Der gut strukturierte Kandinsky dozierte vor seiner Klasse, er lehrte seine eigene Malweise - die allerdings sehr überzeugend. Klee dagegen liebte auch im Unterricht die freie Assoziation, er ließ sich gerne überraschen.

Nicht nur die Schüler profitierten von dem Duo, die zwei inspirierten einander auch gegenseitig. So entstanden einige ihrer besten Bilder in dem weißen Kasten von Dessau mit Blick auf schlanke Kiefern.

© SZ vom 07.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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