Großformat:Zeitraffer

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Leben lässt sich nur in der Gegenwart, die aber ruht auf der Vergangenheit. Wie wäre es, fragt sich der Zeichner Richard McGuire, wenn alles, was je geschah, in einem einzigen Augenblick geschähe?

Von Jörg Häntzschel

Richard McGuires Leben wird immer so erzählt: 1983 hätte er berühmt werden sollen. Die Rap-Pioniere Grandmaster Flash hatten damals mit "White Lines" einen großen Hit. Die Bassline, auf der er aufgebaut war, stammte von McGuire - aus dem nicht ganz so erfolgreichen Punksong "Cavern" seiner Band Liquid Liquid. 1989 wurde er in der Comicszene berühmt. Dafür genügten sechs Seiten, die er in der Zeitschrift Raw veröffentlichte. Sein Strip "Here" war sofort stilbildend. Doch McGuire wendete sich anderen Dingen zu. Er machte Filme, zeichnete Cover für den New Yorker. Es dauerte fast zwei Jahrzehnte, bis er die Idee von "Here" wieder aufnahm und eine 300-seitige Graphic Novel daraus machte. Sie erschien 2014, wurde sofort zum Klassiker und machte ihn nun wirklich berühmt.

Auch in "Here" spielen Jahreszahlen eine große Rolle. Die Zeit ist der eigentliche Protagonist des Buchs. "Here" beginnt vor Jahrmillionen, endet im Jahr 22 175 und hat nur einen einzigen Schauplatz: eine Zimmerecke in McGuires Elternhaus in New Jersey. Früher grasten an diesem Ort die Büffel, später verhandelten hier Holländer mit Indianern, dann wird das Haus gebaut, und wir sehen McGuires alternden Vater auf dem Sofa sitzen.

Was McGuire, 58, darzustellen versucht, ist die Simultanität dieser unterschiedlichen Zeiten in unserem Bewusstsein. Auf den gezeichneten Seiten schieben sich die Ereignisse übereinander, wie bei Tagträumen, wie beim Erinnern öffnen sich Zeit-Fenster in die Vergangenheit oder die Zukunft. McGuire hatte sich damals tatsächlich von der Benutzeroberfläche von Microsoft Windows inspirieren lassen. Im Frankfurter Museum für Angewandte Kunst ist McGuires Großwerk zurzeit sogar in einer begehbaren Version zu sehen.

Auch in der Zeichnung, die McGuire für das Großformat gemacht hat - nach Amateurfotos übrigens, die zwischen 1910 und 1970 entstanden -, geht es um Zeit. Doch das erklärt er selbst in seinem Text.

© SZ vom 30.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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