Großformat:Totenklage in Sopran

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Heinz Holliger hat für Pierre Boulez einen Nachruf komponiert. Das Stück ist noch nicht uraufgeführt. Es zitiert Bach und bezieht sich genauso auf Wagner wie auf Mallarmés Sonette.

Von Reinhard Brembeck

"Pour le tombeau de . . . / Für das Grabmal von . . . " überschrieben Komponisten einst ihre klingenden Huldigungen an verstorbene Kollegen. Das haben Johann Jakob Froberger, Claude Debussy und Manuel de Falla so gemacht. Jetzt hat sich auch Heinz Holliger, Jahrgang 1939, in diese illustre Reihe gestellt und dem vor zwei Wochen gestorbenen Pierre Boulez - unser Foto stammt von 1961 - seine Reverenz erwiesen. Geschrieben hat Holliger dieses noch nicht uraufgeführte Stück am Tag der Trauerfeier für Boulez in dessen Wohnort Baden-Baden. Nun fehlt in dieser langsam schweifenden, zwischen gewuselten und gehaltenen Partien wechselnden Musik nicht nur das einst obligatorische "Tombeau" im Titel, auch sonst ist das Stück anders geraten als die seiner Vorgänger - kürzer zumal, aber bis zum Überborden aufgeladen mit Anspielungen.

Das fängt mit den ersten fünf Tönen an, b - a - d - e - es, die gleicherweise für Boulez und Baden stehen. Diese Töne sind der Anfang einer Zwölftonreihe, die Holliger dreieinhalb Mal bringt und damit auf Arnold Schönberg verweist, der neben Igor Strawinsky das wichtigste Vorbild für Boulez war. Die beiden ersten und die beiden letzten Töne in Holligers Epitaph ergeben zudem den Namen jenes Komponisten, der als der ultimative Meisterkonstrukteur für Boulez wie Holliger absolut zentral war / ist: b - a - c- h.

Sicherlich ist es kein Zufall, dass Holliger für Sopran solo schreibt. Zwei der bekanntesten, besten und längsten Stücke von Pierre Boulez stellen ebenfalls einen Sopran ins Zentrum, es handelt sich um die beiden Kantaten "Le marteau sans maître" (Der Hammer ohne Meister) und "Pli selon pli" (Falte auf Falte). Letzteres Stück vertont Verse des hermetischen Rätseldichters Stéphane Mallarmé, den Boulez als seinen nächsten Kunstverwandten empfand. Während Holliger sich in seinem Hauptwerk, dem "Scardanelli-Zyklus" an Mallarmés deutschen Pendant abgearbeitet hat, an Friedrich Hölderlin. Boulez zu Ehren verwendet Holliger nun auch für seinen vertonten Nachruf einen Vers von Mallarmé, den er leicht abändert: "Le silence funèbre / Dispose plus qu'un pli / mémoire / Adieu : Die Grabesstille / Arrangiert mehr als nur eine Falte / Gedächtnis / Adieu". Die Anspielung auf "Pli selon pli" ist überdeutlich. Aber steckt darin nicht vielleicht sogar eine Art sanfter Kritik an Boulez, den er daran erinnert, dass der Tod letztlich immer größer ist als alles Menschenwerk?

Dieser Vers entstammt einer anderen "Tombeau", einem wenig bekannten Sonett Mallarmés auf den Tod Richard Wagners. Jenes Richard Wagners, der im Leben von Pierre Boulez eine entscheidende Rolle gespielt, wurde er doch 1976 in Bayreuth als Dirigent des "Ring des Nibelungen" weltberühmt. Mit einem Stück, das mit der von einer Sopranistin gesungenen Heldenklage endet.

© SZ vom 23.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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