Großformat:Stadt, Land, Fluss

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Vor Massentourismus, Satelliten und Google Maps war die Erde den Menschen fremd wie uns heute ferne Planeten: Mit Karten wie dieser schaffte Alexander von Humboldt Abhilfe.

Von Laura Weißmüller

Daten seien die neue Währung, heißt es gerne über unsere dauernd Daten produzierende Gegenwart. Dabei werden zwei Dinge übersehen. Erstens lassen sich Daten nur von dem nutzen und als Zahlungsmittel einsetzen, der sie auch versteht. Und zweitens ist die Gier nach Informationen, die dem eigenen Vorteil dienen, so neu nicht. Herrscher schicken seit Jahrhunderten ihre besten Wissenschaftler um die Welt. Was diese zurückbrachten, sicherte ihren Auftraggebern nicht selten die Macht. Wissen hieß Herrschen, und es war einer kleinen Elite vorbehalten. Mitte des 19. Jahrhunderts änderte sich das. Wissen demokratisierte sich. Vielleicht ist es kein Zufall, dass gerade damals populär wurde, was seit einigen Jahren wiederentdeckt wird: die Infografik, sprich der Versuch, Informationen grafisch so aufzubereiten, dass sie allgemein verständlich werden.

Unsere Karte, die eine "Vergleichende Uebersicht der grössten Seen der Erde im Verhältnis zum Schwarzen Meere" bieten will, stammt aus exakt dieser beginnenden Blütezeit der Lehrmedien (Abb.: Michael Stoll). In Stahlstich ausgeführt und sorgfältig per Hand koloriert erschien sie 1851 im "Atlas zu Alex. v. Humboldt's Kosmos", herausgegeben von Traugott Bromme. Der hatte wie andere findige Kartografen in Europa verstanden, dass die Erkenntnisse, die Alexander von Humboldt von seinen Reisen um die Welt mitbrachte, zwar auf ein enormes Interesse stießen, allein: den Lesern von Humboldts "Kosmos" und den Zuhörern seiner Vorlesungen fehlte der visuelle Zugang. Viele konnten sich die Verbreitung der Pflanzen und Vögel, die höchsten Berge und längsten Flüsse in der Welt schlicht nicht vorstellen. Wie auch? Selbst in Deutschland reiste damals kaum jemand. Die Welt auf der anderen Seite der Erdkugel hatten die allerwenigsten gesehen. Der Vergleichsmaßstab fehlte. Karten wie die hier abgebildete änderten das. Denn auch wer Deutschland noch nie verlassen hatte, kannte zum Beispiel den Chiemsee und verstand durch die visuelle Nachbarschaft etwa zum Titicacasee, wie winzig das "Bayerische Meer" im Vergleich ist, ganz zu schweigen vom Kaspischen Meer. "Gesellschaftliches Vorankommen ist nur möglich, wenn Wissen in die Öffentlichkeit getragen wird und kein Expertenwissen bleibt", sagt Michael Stoll. Das hat sich bis heute nicht verändert. Stoll lehrt an der Augsburger Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung Kommunikationsdesign und besitzt eine große Sammlung historischer Infografiken. Den Aufwand, der damals erforderlich war, um solche Karten zu produzieren - bei einem Fehler musste der Stahlstecher eine ganz neue Platte herstellen - kann man sich im Zeitalter der Grafikprogramme kaum mehr vorstellen. Doch die Schönheit und vor allem die Sorgfalt, die das mit sich brachte, sind auch heute noch sofort erkennbar.

© SZ vom 15.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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