Großformat:Kein Apoll, ein Bartträger

Lesezeit: 2 min

Im Jahr 1812 veränderte ein italienischer Restaurator ein Gemälde von Sandro Botticelli und damit unser Bild seiner Malerei. Jetzt wurde es gereinigt, und siehe da: Die Figuren leuchten.

Von Kia Vahland

Kunstgeschichte kann nur betrachten, was zu sehen ist. Das aber ist nicht immer das, was ein Künstler zu seiner Zeit gezeigt hat. Farben verändern sich, insbesondere wenn sie nicht aus mineralischen, sondern aus pflanzlichen Substanzen bestehen. Würmer fressen sich in Holztafeln, Bindemittel altern. Das größte Risiko aber ist der Mensch. Er hängt Zeichnungen ins Licht, Gemälde über Feuerstellen und verschlimmbessert den schlechten Zustand mit Restaurierungen, die über den Kunstgeschmack ihrer Zeit mehr erzählen als über das Original. So war das jedenfalls im 19. Jahrhundert, als es noch nicht möglich war, ein Gemälde mit Infrarot- und Röntgenaufnahmen zu durchleuchten, um zu verstehen, was der Künstler einst tat. Luigi Scotti durfte im Jahr 1812 in Florenz eine große Beweinung Christi von Sandro Botticelli restaurieren, von der man kaum noch etwas sah: Die um 1490 / 1495 entstandene Holztafel, die über einem Kamin hing, war schwarz. Als er den Ruß abgenommen hatte, besserte er nicht nur die Lücken aus, sondern pinselte drauflos, verstärkte Schattenwürfe und modellierte die Figuren so, dass sie plastisch und dunkler wirkten. "Das hat das traditionelle Zerrbild vom späten Botticelli mitgeprägt", sagt Andreas Schumacher, Sammlungsleiter für italienische Kunst in der Münchner Alten Pinakothek, wo das Bild heute hängt. Der Maler galt etlichen Kunsthistorikern als düster, manch einer sah einen Zusammenhang zu dem Bußprediger Girolamo Savonarola. In den vergangenen Jahren hat die Alte Pinakothek mithilfe des hauseigenen Doerner-Instituts das Bild analysiert, hat Pigmente und Farbschichten studiert, Unterzeichnungen erkannt, Scottis Pinselspuren von denen Botticellis geschieden. Beherzt nahmen die Restauratorinnen Scottis Übermalungen ab - und staunten: Es trat ein zarter Botticelli zu Tage, der Christus weiche Barthaare schenkte und einen biegsamen, gar nicht athletischen Körper. Alles wirkt delikat an dieser plötzlich farbstrotzenden Malerei. Das Grabtuch geht in den Schleier der rechten Klagefrau über, und es wirkt noch transparenter als zuvor. Man ahnt, wie sie die Wange Christi spüren muss unter diesem Tuch, wie seine Locken ihren Ärmel kitzeln. Die Aufnahmen, welche die SZ erstmals zeigt, dokumentieren den Wandel: Oben ist das neu restaurierte Gemälde zu sehen in fast schon metallischen, hell strahlenden Farben. Es ist phänomenal, wie gut die gewagte Mischung aus Tempera- und Ölmalerei sich erhalten hat, gerade wenn man im Vergleich das jüngere, runzelige Madonnenbild Leonardo da Vincis aus der Pinakothek betrachtet. Botticelli wusste offenbar bereits, wie viel Öl er nehmen musste, damit die Farben halten. Im kleinen Bild links ist der dunklere Vorzustand im Ausschnitt zu sehen; auf der rechten Abbildung erkennt man dieselbe Szene nach der Reinigung, aber bevor die Fehlstellen wieder ausgebessert wurden. Dokumentiert werden die Restaurierungsergebnisse in dem schönen Band "Florentiner Malerei - Alte Pinakothek. Die Gemälde des 14. bis 16. Jahrhunderts" (Deutscher Kunstverlag). Zu sehen ist das Gemälde für einige Stunden am 15. Oktober in der Alten Pinakothek in München und dann erst wieder Ende kommenden Jahres.

© SZ vom 23.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: