Großformat:Eine Partitur für Bewegungen

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Gemeinsam mit dem Architekten Avraham Wachman entwickelte die israelische Choreografin Noa Eshkol ein Zeichensystem für den Tanz. Es ist so exakt, dass auch Naturwissenschaftler damit arbeiten.

Von Laura Weissmüller

Ein Mensch wie ein Uhrwerk. Der Körper kerzengerade auf zwölf. Die Arme wandern, von kurz nach vier, zu sechs, dann auf etwa halb acht. Mechanisch sieht das aus, was die schmale Strichfigur im Profil da auf dem Blatt Papier vollführt, militärisch. So senkrecht die Haltung, so exakt die Winkelangaben. Und trotzdem: Je länger man den Bewegungsablauf studiert, desto plastischer wirkt er. Kann sein, dass das an den Rottönen des Kreises liegt oder den Bleistiftlinien, die aussehen wie Sonnenstrahlen. Vor allem an der annehmenden Geste der nach oben gerichteten Hände.

Exakt und trotzdem auf fast meditative Weise sanft, diesen vermeintlichen Widerspruch transportieren auch die Choreografien von Noa Eshkol. Die israelische Künstlerin, geboren 1924, wuchs in einem der ersten Kibbuze des Landes auf und zog in den Vierzigerjahren nach Holon, eine Stadt unweit von Tel Aviv, wo der junge Staat noch mit viel Idealismus versuchte, eine eigene Moderne zu prägen. Im Kleinen ist das Eshkol gelungen, die ihr Zuhause zum Zentrum ihrer eigenen Community ausbaute, für Tänzer, Architekten, Wissenschaftler. Über die Jahre erweiterte sie ihr Haus um ein Stockwerk nach dem anderen, nur um ihre immer größer werdende Bibliothek fassen zu können. Sie selbst choreografierte, schrieb Bücher und Artikel.

Die Kunstszene entdeckt die im Jahr 2007 verstorbene Noa Eshkol inzwischen vor allem wegen der Wandteppiche wieder, an denen sie arbeitete, als die Tänzer ihrer Compagnie im Jom-Kippur-Krieg als Soldaten eingezogen wurden. Der Badische Kunstverein feiert ihr Werk derzeit als "interdisziplinär", "das seiner Zeit weit voraus war", wie Anja Casser, die Direktorin, sagt. Erstmals werden dort (bis zum 11. September) auch Zeichnungen eines Systems ausgestellt, das Noa Eshkol gemeinsam mit dem Architekten Avraham Wachman im Jahr 1958 entwickelte und aus dem diese unveröffentlichte Skizze "Plane Movement. Illustration: Avraham Wachman, 1950 - 58" stammt (Foto: The Noa Eshkol Foundation for Movement Notation). Tanz lässt sich seither in ein exaktes System aus Linien, Zahlen und Symbolen überführen - jenseits der Tanzkunst nutzen aber auch Neurowissenschaftler diese Methode, die Gebärdensprache und die Zoologie.

© SZ vom 27.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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