Großformat:Die Farbe der roten Erde

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Als geometrische Lyrik feierten die Kritiker in Brasilien die Mode der deutschen Exilantin Olly Reinheimer. Hierzulande ist ihre Arbeit kaum bekannt.

Von Michaela Metz

Olga Helene Blank kam als Tochter einer russischen Mutter und eines ungarischen Vaters 1914 im sächsischen Mittweida bei Dresden zur Welt. Ihre Familie war Anfang des 20. Jahrhunderts von Odessa vor Pogromen und politischen Unruhen nach Deutschland geflohen. 1922 zogen alle nach Berlin, man bewegte sich dort im Kreis um Albert Einstein und Werner Heisenberg. Doch 1935 trieb Olga die Furcht vor den Nationalsozialisten nach Brasilien. Ihren Mann, Werner Reinheimer, der 1936 als jüdisch-kommunistischer Aktivist aus Pforzheim nach Brasilien geflohen war, lernte sie dann in Rio de Janeiro kennen.

Erst in ihrer neuen Heimat, wo sie bis zu ihrem Tod 1986 lebte, wurde aus Olga die Künstlerin Olly. Sie studierte Keramik, wechselte nach einer schweren Vergiftung das Fach und arbeitete fortan mit Textilien und Malerei. In ihrem tropischen Exil schien die Emigrantin aus der Arbeit mit fantastischen Stoffobjekten eine unerschöpfliche Energie zu gewinnen. Immerfort stand sie am Webstuhl, spann Wolle oder sammelte die rote brasilianische Erde, um daraus Farben zu mischen.

Für ihre textilen Objekte ließ Olly sich von brasilianischer Populärkultur inspirieren, von indigenen Elementen, Höhlenmalerei und präkolumbianischer Kunst. 1960 präsentierte das Museum für Moderne Kunst in Rio de Janeiro ihre bunt gefärbten gewebten Kleider und Roben. Dabei stellte Olly ihre Objekte nicht leblos aus, sondern organisierte eine Parade, eine Art Modenschau im Museum. Ein Novum. Die Präsentation als Performance führte in eine brasilianische Moderne, wie sie später Tropicalista-Künstler wie Hélio Oiticica lebten. Zeitgenössische Kritiker bezeichneten Reinheimers Mode als "geometrische Lyrik" und feierten ihr außergewöhnliches Gespür für Farben.

Mit ihren Kindern und Enkeln sprachen Olly und Werner, die mehrmals ihre alte Heimat besuchten, nicht über ihre deutsche Vergangenheit. Nun sortiert die Anthropologin Patricia Reinheimer, die Enkelin der Künstlerin, die Sammlung Olly und Werner Reinheimer. Wir zeigen Aufnahmen aus dem Archiv, das in Kürze auch online zu finden sein wird ( http://r1.ufrrj.br/olly/index.php/). Außerdem entsteht gerade ein Dokumentarfilm über ihr Leben. Er spürt den deutschen Wurzeln nach - gerade noch rechtzeitig, denn viele Zeitzeugen sind sehr alt - und will das pralle, energiegeladene Universum der Olly Reinheimer wieder aufleben lassen. Natürlich in Farbe.

© SZ vom 22.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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