Grisaille:Freiheit mit Licht und Schatten

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Die Geschichte von Samson und Delilah fasziniert Künstler seit Jahrhunderten. Delilah weiß, dass ihr Mann seine enorme Kraft verlieren wird, sobald ihm die Haare geschoren werden. Sie lässt sich zum Verrat hinreißen. Hier die Grisaille-Version von Adriaen van der Werff, entstanden um 1693. (Foto: © Fondation Custodia, Collection Frits Lugt, Paris)

Schon die Zisterziensermönche verzichteten seit Beginn des 14. Jahrhunderts gezielt auf den Einsatz von Farbe. Sie fanden viele Nachahmer - manche sparten Farbe, andere spielten mit den Effekten.

Von Evi Buddeus

Farbreize prägen die Wahrnehmung des Menschen. Bei Tageslicht sieht das menschliche Auge die Umwelt farbig, bei gedämpftem Licht stellt das Auge auf Hell-Dunkel-Sehen um, alles erscheint in Grautönen. Die Idee, die Welt ohne Farbe wiederzugeben und somit auf eine Art zu abstrahieren, wirkte seit jeher auf Künstler anziehend.

Dabei bedeutet die Beschränkung auf Schwarz-Weiß weit mehr als das Fehlen von Farbe. "Buntes Unbunt wiederzugeben bedeutet, den artifiziellen Charakter des Kunstwerks, sein Gemachtsein zu betonen", schreiben die beiden Kunstprofessoren Gregor Wedekind und Magdalena Bushart in ihrem Buch "Die Farbe Grau". "Denn wenn Künstler sich für die Farbe Grau entschieden, war das immer eine bewusste Wahl mit über das Kunstwerk hinausweisender Bedeutung."

Seit der klassischen Antike sind nach Plinius dem Älteren "Monochromata"-Bilder in Grauwerten oder sehr reduziertem Farbeinsatz bekannt, vorrangig zu dem Zweck, Skulpturen oder Reliefs in Stein zu imitieren. Allein Lichtreflexe und Schattenpartien vermitteln das illusionistische Bild dekorativer Steinelemente und täuschen das Auge des Betrachters.

Die Zisterziensermönche entwickelten ab dem zwölften Jahrhundert kunstvoll gestaltete Glasfenster in Grisaille-Technik als eigenständige Form. Indem sie auf farbiges Glas verzichteten und stattdessen die Fenster aufwendig mit schwarz-weißen Ornamenten dekorierten, umgingen sie geschickt die strengen Ordensregeln und das Verbot von ästhetischer Ablenkung.

Der bewusste Farbverzicht in Bildern lässt sich seit Beginn des 14. Jahrhunderts historisch fassen: Zunächst in der Buchmalerei, dann aber auch auf Altarflügeln und Fastentüchern und schließlich in Ölskizzen oder grafischen Verfahren finden sich vermehrt unbunte Darstellungen. Im Jahr 1437 nimmt Jan van Eyck mit seiner "Hl. Barbara"" die Entwicklung der eigenständigen Grisaille voraus.

Als Begriff taucht "Grisaille" im 17. Jahrhundert im Französischen auf und löst die früheren Umschreibungen von Gemälden in Grautönen als "Schwarz-Weiß" oder "steinfarbig" ab. Dabei kann Grisaille eine Skizze oder eine vorbereitende Studie eines größeren Werks sein, es kann sich aber auch um ein eigenständiges Kunstwerk handeln. Künstler und Sammler begannen sich im 16. Jahrhundert vermehrt für diese monochrome Malerei zu interessieren, auch Zeichnungen stiegen in den Rang eigenständiger Kunstwerke auf.

Der holländische Maler Adriaen Pietersz. van de Venne (1589 - 1662) schuf mit kleinformatigen, schnell gemalten Genreszenen in Schwarz-Weiß ein neues, populäres Bildgenre namens "grawtje" (niederländisch): Dieses bedeutet übersetzt "kleines Grau" und beschreibt gleichsam Themenwahl wie Farbwahl. Es ist Synonym für die besitzlosen Leute, die der Künstler darstellte, was auch mit der Bedeutung von Grau in der Farbsymbolik für unauffällig und unbedeutend übereinstimmt.

In Grisaille wurden auch zunehmend monochrome Fassungen von existierenden Farbgemälden hergestellt, da diese günstiger als die farbigen Originale waren trotzdem als handgemalte Unikate eine gute Alternative zu Reproduktionsgrafiken boten.

Adriaen van der Werffs (1659 - 1722) Gemälde "Samson und Delilah" zeigt, dass sich die Praxis der monochromen Malerei in Nordeuropa bis zum Ende des 17. Jahrhunderts fortsetzte. Die sehr ähnliche Farbfassung von 1693 ist heute verloren, die monochrome Kopie weist aber nur geringe Unterschiede auf. Möglicherweise empfand van der Werff bestimmte Details in der Grisaille-Technik anders. Diese Grisaille dient als ricordi: Es soll die Farbkompositionen in monochromer Technik reproduzieren oder dokumentieren. Die Rötel-Vorzeichnung für das verlorene polychrome Gemälde enthält Farbspezifikationen, die darauf hindeuten, dass der Maler "Samson und Delilah" von Anfang an als farbiges Gemälde konzipierte, was wiederum die These von der Grisaille als einer späteren Übung untermauert. Jenseits des Vorhangs ist eine Kolossalstatue des Farnesischen Herkules - eine der wichtigsten Skulpturen der Antike - zu sehen, die an eine der Hauptfunktionen der Graumalerei erinnert: Stein nachzuahmen

Auch Edgar Degas malte eine Ballettszene in Grautönen

Das Grisaille-Gemälde von Edgar Degas (1834 - 1917) "Ballettprobe auf der Bühne" wurde 1874 bei der ersten Impressionisten-Ausstellung als eigenständiges Werk gezeigt und begeistert aufgenommen. Befreit von den Konventionen der Farbmalerei konnte sich Degas auf die Komposition durch Licht und Schatten konzentrieren. "Maler reduzieren ihre Farbpalette aus vielen Gründen, vor allem aber, um die Aufmerksamkeit des Betrachters auf ein bestimmtes Thema, Konzept oder Technik zu lenken." Das könne sehr befreiend sein, argumentieren Lelia Packer und Jennifer Sliwka, die Kuratorinnen der aktuellen Ausstellung, die bereits in London unter dem Titel "Monochrome: Painting in Black and White" zu sehen war. Denn ohne die Komplexität des Arbeitens in Farbe könne man unter anderem mit Form, Textur oder symbolischer Bedeutung experimentieren.

Im 19. Jahrhundert zog die Schwarz-Weiß-Malerei vor allem die Symbolisten in ihren Bann, um seelische Zustände darzustellen und symbolische Bedeutungen zu vermitteln. Die unendliche Palette an Grautönen wurde für feinste Schattierungen eingesetzt. Philipp Otto Runge, wie Caspar David Friedrich ein Maler der Frühromantik, nutzte die Spielarten von Grau, um Bedeutungen zu transportieren und entwickelte dazu eine eigene Farbtheorie. Auf seiner Farbkugel ordnete er die Grundfarben Blau, Rot und Gelb samt den daraus entstehenden Mischfarben sozusagen rund um den Äquator an. Zu den Polen hin verlieren alle Farben an Intensität, die Pole sind dann nur noch schwarz und weiß.

Die Verwendung von Grau ist bis heute Thema in der Kunst, basiert aber auf unterschiedlichen Konzepten: von der preisgünstigen Alternative zur Farbe, über den bewussten Farbverzicht in monochromen Darstellungen bis hin zur Imitation der Medien Schwarz-Weiß-Foto oder Schwarz-Weiß-Film.

© SZ vom 20.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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