Graphic Novel:Berlin Babylon

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Gereon Rath ermittelt jetzt auch im Comic: Arne Jysch hat Volker Kutschers Erfolgskrimi "Der nasse Fisch" adaptiert.

Von Thomas von Steinaecker

Bestseller lassen sich nicht planen, aber erklären. Volker Kutschers Krimireihe über den eigenwilligen Kommissar Gereon Rath ist so ein Fall. Im Nachhinein erscheint es als völlig logisch, dass sie ein lang anhaltender Erfolg wurde, so überzeugend sind ihre Zutaten.

Da wäre zunächst einmal als bewährtes Setting das Berlin der späten 1920er-Jahre. Kutscher vermeidet allerdings geschickt Klischees, indem er seinen auf acht Teile angelegten Zyklus 1929 beginnt, in einem Umbruchjahr also, in dem sich die Weimarer Republik langsam ins Dritte Reich verwandelt. Der Reiz liegt darin, dass für uns, die wir den Ausgang kennen, überall die finsteren ersten Anzeichen des aufziehenden Unheils zu erkennen sind, während die zeitgenössischen Figuren, in ihrem Alltag gefangen, naturgemäß keine Augen für die Menetekel der Geschichte haben. Dadurch bieten die Romane des studierten Historikers und Journalisten Kutscher mehr als "nur" spannende Unterhaltung: In ihren besten Momenten beschreiben sie als Sittengemälde den schleichenden Übergang einer ganzen Gesellschaft in die Diktatur anhand von Einzelschicksalen.

Aus 500 Romanseiten sind 200 Seiten Comic geworden - der Plot hat noch mehr Drive

Sie sind der zweite große Trumpf Kutschers. Sein Gereon Rath zum Beispiel ist ein Hardboiled-Spürhund, wie er im Buche steht, einer mit Ecken und Kanten, der in kein Gut-und-Böse-Schema passt und trotzdem oder gerade deswegen die kompliziertesten Fälle löst. Dass er selbst bei der kniffligsten Arbeit noch Muße für die Beschäftigung mit schönen Frauen findet, versteht sich von selbst. Hinzu kommt, dass ihm in der mythischen "Roten Burg", dem damaligen Polizeipräsidium, ein fester Stamm von Nebenfiguren zur Seite steht, die so vielseitig angelegt sind, dass man ihrer Entwicklung gespannt bis zum Jahr der Machtergreifung folgen will, in dem - so die Ankündigung Kutschers - der letzte Band spielen soll.

Es war also nur eine Frage der Zeit, dass eine derart gut recherchierte wie geschriebene Reihe weiterverwertet wird. Aufsehen erregt zurzeit vor allem die extrem kostspielige Verfilmung Tom Tykwers als TV-Serie, nicht weniger als 16 Folgen, die Ende des Jahres unter dem Titel "Babylon Berlin" ausgestrahlt werden sollen. Da nimmt sich die Comic-Fassung des ersten Bandes der Reihe geradezu bescheiden aus: Die mehr als 500 Seiten des ersten Romans dampft sie auf knapp 200 ein. Und wie immer stellt sich die Frage bei solchen Unternehmungen: Was hat die Adaption anderes oder neues zu bieten als eine bloße Bebilderung? Oder kurz: Braucht's das?

Arne Jyschs Adaption von "Der nasse Fisch" folgt im Wesentlichen der Handlung des Buches: Nach einer zweifelhaften Aktion in seiner Heimat Köln wird Gereon Rath auf Betreiben seines einflussreichen Vaters nicht vom Dienst suspendiert, sondern lediglich nach Berlin strafversetzt - in die Inspektion E, zur "Sitte". Hier hat er es zwar an der Seite des "Onkels", seines Vorgesetzten Bruno Wolter, auch durchaus mit schillernden Fällen zu tun wie der Aushebung eines Pornorings; Raths ganzes Bestreben liegt aber darin, wieder in die Inspektion A zu gelangen, zur Mordkommission. Dort tappt gerade der ansonsten so geniale Ernst Gennat im Fall "Möckernbrücke" im Dunkeln: Im Landwehrkanal wurde ein Auto mit einem Unbekannten versenkt. Motiv und Tathergang unbekannt. Wie es der Zufall will, hält aber gerade Gereon Rath den Schlüssel zur Lösung in seinen Händen und beginnt, unterstützt von der selbstbewussten Stenotypistin Fräulein Ritter, auf eigene Faust in der Unterwelt der Stadt zu recherchieren. Während die Polizei am sogenannten Blutmai Dutzende Demonstranten erschießt und die Stimmung in der Stadt unter Kommunisten und Nationalsozialisten gefährlich hochkocht, nimmt der Fall immer größere Ausmaße an. Es geht um Kokainhandel, russisches Gold und Waffenschieberei an die SA. Ja, Rath selbst wird zum schuldig-unschuldigen Mörder und erkennt im selben Moment, dass sich der Drahtzieher des Komplotts in den Reihen der Polizei versteckt und nun ihn selbst ins Visier genommen hat.

Bis auf einige dramaturgische Umstellungen hat Arne Jysch also im Wesentlichen die ursprüngliche Handlung beibehalten. Die gravierendste Änderung besteht in der Erzählperspektive: Der Comic ist aus der Ich-Perspektive erzählt, was aber durch seinen lakonischen Ton den Roman auf sehr stimmige Weise noch näher an die Hardboiled-Tradition eines Dashiell Hammett oder Raymond Chandler rückt. Natürlich fordert die enorme Verdichtung des Textes ihren Tribut. Action wird effektvoll, aber sehr sparsam eingesetzt; manchmal wirken Szenenwechsel wenig elegant; Logiklöcher sind jedoch die Ausnahme. So wird etwa anders als im Original nicht befriedigend erklärt, warum eine Stenotypistin wie Fräulein Ritter plötzlich an Ermittlungen teilnehmen darf.

Arne Jysch, Volker Kutscher: Der nasse Fisch. Carlsen Verlag, Hamburg 2017. 216 Seiten, 17,99 Euro. E-Book: 9,99 Euro. (Foto: N/A)

Solche Makel fallen allerdings gegenüber den Vorzügen des Comics kaum ins Gewicht. Die Konzentration auf das Wesentliche verleiht dem intelligenten Plot noch mehr Drive, zumal den ganz im Dienst des Leseflusses stehenden Tuschezeichnungen anzumerken ist, dass Jysch hauptberuflich Storyboards für Unterhaltungsfilme wie "Der Medicus" oder die neue "Winnetou"-Reihe zeichnet. Die Dialoge wirken oft noch geschliffener dadurch, dass sich Jysch einfach die besten Zeilen herausgesucht hat oder comictypisch eine Szene pointiert mit einem neuen One-Liner beendet, wenn etwa Fräulein Ritter Kommissar Rath am Schluss ihres ersten Flirts vieldeutig warnt: "Ich bin tanzwütig."

Arne Jyschs Zeichnungen der Berliner erinnern an die Fotos von August Sander

Die größte Stärke des Comics besteht aber zweifellos darin, der ohnehin genauen Recherche Kutschers noch eine akribische visuelle Komponente hinzuzufügen. Hier fangen die Schwarz-Weiß-Bilder die Atmosphäre Berlins und seine an die Fotos von August Sander erinnernden Bewohner in einer Intensität ein, die kein Text und vielleicht auch kein noch so guter filmischer Special Effect erreichen können. Nach seinem Debüt, dem zwiespältigen Bundeswehr-Comic "Wave and Smile", ist Arne Jysch hier eine äußerst spannende Adaption gelungen, die, was selten genug vorkommt, künstlerisch ohne größere Abstriche neben dem Original als eigenständiges Werk bestehen kann.

© SZ vom 04.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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