Geschlechterfragen:Schwester unter Schwestern

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Das britische Glastonbury- Festival bietet künftig ein Zelt für alle an, die sich als Frau fühlen.

Von Alexander Menden

Es ist eine Sache, zum hipsten Open-Air-Festival der Welt zu werden. Eine ganz andere ist es, das auch zu bleiben. Dem Glastonbury Festival, das seit 1970 in der englischen Grafschaft Somerset stattfindet, ist beides gelungen. Das liegt einerseits daran, dass sein Veranstalter, der Milchbauer Michael Eavis, es geschafft hat, den "Glasto"-Besuchern weiszumachen, es sei cool, in Gummistiefeln mit Blümchenmuster bis zum Bauchnabel im Schlamm zu waten und andere dabei mit dem Handy zu filmen, wie sie eine gefühlt drei Kilometer entfernte Bühnenshow mit dem Handy filmen. Andererseits ist es Eavis immer wieder gelungen, mit seinem Programm zu überraschen.

2014 schaffte er es, den Auftritt von Dolly Parton als das Coolste zu präsentieren, was je auf einem Festival aufgeboten wurde. Im Jahr darauf löste das Engagement von Kanye West einen Sturm der Entrüstung beim primär aus Gitarrenrock-Afficionados bestehenden Stammpublikum aus, das dann aber doch brav mitrappte.

In diesem Jahr machen weniger die Stars von sich reden, die mit Adele und Coldplay so massenkompatibel wie nie sind, sondern die Ankündigung des vermutlich politisch korrektesten Festivalzeltes aller Zeiten: "The Sisterhood" genannt, wird es einen "intersektionalen, queeren, trans- und behindertengerechten Raum" bieten, der "allen offensteht, die sich als Frau identifizieren". Auch Personal, Sicherheit und Musiker werden ausschließlich Frauen sein.

Hier sollen Frauen die Möglichkeit haben "ihre Geschichten zu teilen, Spaß zu haben und zu lernen, wie sie einander unterstützen können im globalen Kampf gegen die Unterdrückung von Frauen und allen marginalisierten Menschen". Man kann über diese postmodern-jesuslatschigen Aktivistenrhetorik lachen. Aber jeder, der schon mal nach dem Auftritt der letzten Band des Tages durch eine Zeltstadt voller besoffener Fans gestolpert ist, kann nachvollziehen, dass Frauen sich in dieser Umgebung nicht immer sicher fühlen. Insofern ist Michael Eavis' jüngste Neuerung durchaus zu begrüßen, auch wenn die überwiegend harmlosen, den vollen Eintrittspreis entrichtenden Männer sich ein bisschen marginalisiert fühlen mögen.

Was europafreundliche Beobachter der Brexit-Debatte derweil besorgt stimmt, ist der Umstand, dass das Festival am 22. Juni beginnt, einen Tag vor dem EU-Referendum. Man darf davon ausgehen, dass die Glastonbury-Fans überwiegend für einen Verbleib Großbritanniens in der EU stimmen würden. Können sie aber nicht, wenn sie im strömenden Regen Earth, Wind and Fire lauschen. Es wäre bitter, wenn dem EU-Lager genau diese 135 000 Stimmen fehlten.

© SZ vom 17.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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