Geschichtsausstellung:Der Faschist als Kultfigur

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Eine Ästhetik, die zu erläutern wäre - das Porträt "Il Duce" von Giovanni Meschini. (Foto: Katalog)

In Salò am Gardasee stellt ein Museum Benito Mussolini zur Schau. Es widmet sich der Verherrlichung des Duce - und vergisst auf klägliche Weise, seine Geschichte zu durchleuchten.

Von Thomas Steinfeld

Nach Salò, eine Stadt von etwa 10 000 Einwohnern am Ufer des Gardasees, geriet Benito Mussolini im September 1943 - zwei Monate nach seinem Sturz und zwei Wochen nach seiner Befreiung durch Fallschirmjäger der Wehrmacht und der SS - durch den Zufall der geografischen Lage: Der Hauptstadt der "Repubblica Sociale Italiana" ("RSI") war weit genug entfernt von den Fronten des Kriegs. Er lag geschützt in den Bergen und nahe den Grenzen des Deutschen Reiches. Auch ist Mailand von Salò aus leicht zu erreichen. So kam es, dass das Außenministerium in die Villa Simonini (heute Hotel Laurin), einen prächtigen Jugendstilbau, einzog, und in der Villa Amadei residierte das Ministerium für Volkskultur. Doch war die Republik von Salò mehr als eine Marionette des "Deutschen Reiches" ein beinahe vollständiger Staat, dem es, dem Fehlen einer Armee zum Trotz, an Gewaltmitteln nicht mangelte - und der sie benutzte, etwa in der Abrechnung mit einstigen Parteifreunden, die sich schon vom Faschismus abgewandt hatten (siehe Hans Wollers gerade erschienenes Buch "Mussolini. Der erste Faschist", München 2016). Trotzdem haftet der Republik von Salò, auch wegen Pier Paolo Pasolinis Film "Die hundert Tage von Sodom" (1975), das Bild einer mörderischen Operette an.

Auf einem Bild gleicht Mussolini einem FKK-Anhänger, der sich auf den falschen Badestrand verirrt hat

Seit dem vergangenen Jahr gibt es in Salò ein Museum. Entstanden ist es durch den architektonisch anspruchsvollen Umbau einer Kirche und eines Kollegs aus dem späten 16. Jahrhundert. Es beherbergt hauptsächlich eine regionalkundliche Sammlung - sowie gegenwärtig eine Gemäldeparade "Von Giotto bis de Chirico", die der in Italien unausweichliche Kunstmakler Vittorio Sgarbi einrichtete. Die Verhältnisse waren also ausgesprochen friedlich und einem von deutschen Touristen beherrschten Ferienort angemessen, als das Museum ankündigte, dem "Kult des Duce" - "Il culto del Duce" - eine Ausstellung zu widmen. Als Tag der Eröffnung wurde ausgerechnet der 28. Mai angekündigt: der Tag, an dem vor vierzig Jahren eine Bombe während einer antifaschistischen Kundgebung auf der Piazza della Loggia im benachbarten Brescia explodierte, acht Menschen tötete und mehr als hundert verletzte. Die Suche nach den Urhebern dieses Attentats währte Jahrzehnte. Im vergangenen Jahr wurden zwei Rechtsradikale zu jeweils lebenslanger Haft verurteilt. Nach massiver Kritik wurde die Schau dann ein paar Tage später eröffnet.

Die Ausstellung sei eine "ernsthafte Huldigung an die Opfer des Faschismus", erklärte der Direktor des Museums und ließ zur Eröffnung die "Violine der Shoah" spielen, ein Instrument, das einem in Auschwitz ermordeten italienischen Juden gehört hatte. Die Schau sei eine Fortsetzung des Kultes um den Duce, widersprachen, wie immer in solchen Fällen, die Genossen von der "Rifondazione Comunista", und dem Partisanenverband erschien die Veranstaltung als Billigung des Faschismus - und das um so mehr, als sich das "Vittoriale", die zu einem symbolistischen Themenpark ausgebaute Villa des Schriftstellers Gabriele d'Annunzio, in der Nähe Salòs befindet. Und über diesen lässt sich zumindest sagen, er sei ein militanter Nationalist gewesen. Die Ausstellung "Il culto del Duce" ist indessen klein. Sie stammt im Wesentlichen aus einer Privatsammlung, füllt nur zwei Räume und enthält kaum mehr als sechzig Exponate, hauptsächlich Skulpturen, Medaillons und Tafelbilder - Werke eines Heldenkults, der sich in den Dreißigern grenzenlos entfaltete. Aber sie löst den Widerspruch zwischen vergangener Bewunderung und heutiger Empörung nicht auf. Im Gegenteil, sie steigert ihn, indem sie die Werke einer künstlerischen Verherrlichung des "Duce" unmittelbar neben Dokumente von Krieg und Verfolgung stellt. Im Hintergrund heulen dazu vom Tonband leise die Sirenen.

Nun wird Mussolini in Italien nicht in gleicher Weise als obszöne Gestalt behandelt, wie das in Deutschland bei Hitler der Fall ist. Dafür gibt es viele Gründe, angefangen damit, dass der "Duce" als minder brutaler Gewaltherrscher und geringerer Antisemit gilt: Die höheren Leichenberge der Shoah verdecken die nach Hunderttausenden zählenden Opfer des italienischen Faschismus. Zu den Gründen gehört auch, dass nach dem Krieg die Teilung Deutschlands dem westlichen Teil die Möglichkeit eröffnete, sich moralisch vom "Dritten Reich" abzusetzen, während der Faschismus in Italien bis auf den heutigen Tag gegenwärtig ist. Für die Ausstellung in Salò wurde darüber hinaus eine dritte Möglichkeit gefunden, sich zwischen Bewunderung und Empörung hindurch zu mogeln: Die heroischen Darstellungen des "Duce" seien, so heißt es auf den Schautafeln wie im Katalog, der überhöhte Ausdruck einer planvoll geschaffenen Einheit von Volk und Führer. Unklar bleibt nicht nur, wer diese Einheit aus welchem Grund will - das Volk oder der Führer? -, und vor allem: wer die beiden sind.

Künstlerisch gehören die meisten Verherrlichungen des "Duce" einer von offenbar nur zwei ästhetischen Möglichkeiten zu: Zum einen sind es Fortentwicklungen der zuletzt fast abstrakt gewordenen Bildkunst des Futurismus. Die bronzenen Kriegerköpfe des Malers und Bildhauers Ernesto Thayat, eines der Gründerväter der modernen Industriedesigns, sind dafür das interessanteste Beispiel. In ihnen wird offenbar, dass die gewaltigen Zukunftsversprechen des Futurismus einer Auflösung ins Reale bedurften, die nur in Gewalt bestehen konnte. Zum anderen sind Werke, die den "Duce" in ältere Bildtraditionen einrücken - in die des Cäsaren, des Condottiere oder des Prometheus.

Der Umschlag ins Lächerliche gelingt dabei schnell, geschieht aber wohl meistens ungewollt - so etwa im Ganzkörperporträt des Illustrators Achille Beltrame, der Benito Mussolini nackt vor einer Elendshöhle zeigt, ein kleines Rutenbündel ("fascis") in der Hand: Er gleicht einem FKK-Anhänger, der sich auf den falschen Badestrand verirrt hat. Der geringe Rest der Arbeiten scheint sich einem entfesselten Dilettantismus zu verdanken, etwa das Gemälde eines "unbekannten Faschisten", das den "Duce" in einer Art Rodeo beim Zureiten eines wilden Pferdes zeigt. So sehr sich das Tier auch aufbäumt: Ungerührt bleibt Mussolini oben, den linken Arm zum Gruß gereckt, während ein dicker Engländer, eine französische Matrone und ein grimmiger Amerikaner zuschauen und Dante Alighieri im Hintergrund nachdenkt.

Immerhin wird nun in Salò eine Ausstellung zum berühmtesten Bewohner der Stadt ausgerichtet. Und in der Entscheidung, den Konsens von Volk und Führer zu ihrem Gegenstand zu machen, verbirgt sich sogar ein Gedanke, der eine Ausstellung hätte rechtfertigen können. Denn Faschismus geht - ein unpopulärer, aber richtiger Gedanke - aus Demokratie hervor. Er beginnt, systematisch betrachtet, mit zwei keineswegs überwundenen Formen von Kritik: mit der Kritik des angeblichen Volks an der Politik, sie verrate das Wohl der Nation, und mit der Kritik der Politik am Volk, es lasse es nicht nur an nationaler Gesinnung, sondern auch an Einsatzbereitschaft für das gemeinsame Wohl fehlen. "Credere, obedire, combattere" ("Glauben, Gehorchen, Kämpfen) gelten daraufhin als die Tugenden, die zur Rettung eines anderenfalls verlorenen Vaterlands aufgeboten werden müssen. Was man auf den Bildern des "Duce" sieht, sind Darstellungen dieser Tugenden. Diese Ästhetik hätte man in Salò begründen müssen - statt zu glauben, die Zurschaustellung des vom Faschismus angerichteten Schreckens sei Einspruch genug.

Il culto del Duce. Museo di Salò, Salò, bis 28. Mai 2017. Ausstellungsführer (nur auf Italienisch) 6 Euro. Katalog 25 Euro.

© SZ vom 11.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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