Geschichte:Münchens evangelische Keimzelle

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"Bayern und die Protestanten" - 17 Wissenschaftler untersuchen in einem Sammelband die Auswirkungen der Reformation

Von Sabine Reithmaier, München

Was für ein Medienereignis die Reformation war, verdeutlichen Martin Luthers Auflagenzahlen. Sein "Sermon von Ablass und Gnade", im Frühjahr 1518 erschienen, wurde in nur drei Jahren 26 Mal aufgelegt. Die Flugschrift "An den christlichen Adel deutscher Nation" erschien 1520 in einer Erstauflage von 4000 Stück und war nach zwei Wochen vergriffen. Und spätestens seit seinem Auftritt auf dem Wormser Reichstag 1521 kannte Deutschland, informiert durch Flugschriften, erstmals in seiner Geschichte nur ein einziges Thema: Die "Causa Lutheri". Der Reformator war buchstäblich in aller Mund, wie Harry Oelke schreibt.

Oelke ist einer der 17 Wissenschaftler, die in dem aufschlussreichen Buch "Bayern und die Protestanten" die Entwicklung der Bewegung und die Auswirkungen auf Konfession, Bildung, Kunst und Medien nachzeichnen und eine Fülle von interessanten Informationen und Details liefern. Von 1519 an, zwei Jahre nachdem Luther offen auftrat, breitete sich die evangelische Bewegung auch in Bayern aus. Der Widerhall war groß. Aber während die Reichsstädte Augsburg, Regensburg und Nürnberg schon 1555 als Zentren der reformatorischen Bewegung galten, verweigerte sich München der neuen Bewegung. Das lag natürlich an den bayerischen Herzögen, allen voran Herzog Albrecht V. (1550 bis 1579), der mit harter Hand sich immer wieder in die städtische Gerichtsbarkeit einmischte. Verärgert reagierte er, als es Gottesdienstbesucher im Juni 1558 wagten, lutherische Lieder zu singen und die Stadtverwaltung die von ihm angeordneten Verhöre nur zögerlich durchführten. 1563 kündigte er dem Magistrat sogar an, notfalls die Stadt zu verlassen. München wäre dann keine Residenzstadt mehr gewesen - das konnten die Räte schon aus wirtschaftlichen Gründen nicht riskieren.

Kulturgeschichtlich galt München damals ohnehin nur als zweite Liga. Die kirchliche Hierarchie residierte in Freising, Passau und Salzburg, Studenten zog es nach Ingolstadt, und die wichtigen Druckzentren befanden sich in Augsburg und Nürnberg. Für die Künstler bedeutete die Reformation einen Auftragseinbruch, schließlich waren Heiligenbilder und Mutter-Gottes-Darstellungen nicht mehr gefragt.

Die Konfessionsverschiebung in München durch Zuwanderung untersucht Michael Stephan. Protestanten waren hier allenfalls geduldet. Erst 1799, als Kurfürst Max IV Joseph sein Amt antrat, durften sie ihre Religion frei ausüben und ansässig werden. Der spätere König von Bayern folgte der Empfehlung von Montgelas, der ihm riet, die drei christlichen Religionen - Katholiken, Lutheraner, Reformierte - zu allen Ämtern zuzulassen. Auch war seine zweite Ehefrau, Prinzessin Karoline Friederike Wilhelmine, eine Protestantin, die sich in ihrem Ehevertrag das Recht auf freie Religionsausübung aushandelte. Sie und ihr Hofstaat gelten als die Keimzelle der evangelischen Gemeinden Münchens.

Das Verhältnis zwischen den Konfessionen war trotzdem nicht besonders entspannt. So wurde bei Karolines Begräbnis 1841 dem Trauerzug das Portal der katholischen Hofkirche S. Kajetan, wo sie an der Seite ihres Manns ruhen sollte, nicht geöffnet. Der Hofklerus, in Zivil gekleidet, übernahm den Sarg und geleitete ihn ohne jede Feierlichkeit zur Gruft. Das verdross sogar ihren ebenfalls mit einer Protestantin verheirateten Stiefsohn Ludwig I., denn er wurde ob dieses Affronts mit Beschwerden überhäuft. Er schrieb an seine Minister: "Es ist Zeit, dass die Übertreibungen aufhören."

© SZ vom 12.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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