Geschichte :Falscher Mann im falschen Film

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Streit um neuen Chef der Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung".

Von Robert Probst

Vor wenigen Tagen hielt Kulturstaatsministerin Monika Grütters, CDU, beim Empfang der Unionsfraktion einen Vortag mit der Leitfrage: Woran erkennt man einen schlechten Film? Aus der Sicht mancher Beteiligter ließe sich diese Frage auch auf die neuesten Querelen um die Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" anwenden, fühlen sie sich doch je nach Betrachtung in einem ganz schlechten oder gar im falschen Film. Die Stiftung soll die seit Jahren geplante Dauerausstellung über die Vertreibungen im Europa des 20. Jahrhunderts erarbeiten, fällt aber zumindest in der Öffentlichkeit bisher vor allem durch Richtungsstreitigkeiten, Misstrauensbekundungen und Ränkespiele auf. Neuester Anlass: Einen Tag, nachdem ein neuer Stiftungsdirektor gekürt worden war, erklärten fünf Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats ihren Rücktritt. Dem Knatsch um den jüngst abberufenen Direktor Manfred Kittel, der sich mit dem Beirat überworfen hatte, folgt sogleich der nächste Akt.

Am Montag wählte der 21-köpfige Stiftungsrat mit breiter Mehrheit den Historiker Winfrid Halder zum neuen Direktor. Am Dienstag erklärten der Vorsitzende des Beirats, eines beratenden Gremiums, Stefan Troebst, sowie die polnischen Wissenschaftler Piotr Madajczyk und Krysztof Ruchniewicz und darüberhinaus die Wissenschaftler Michael Wildt und Michael Schwartz ihren sofortigen Rückzug.

Die Motive sind mehrschichtig: Manch einer hält Halder offen für den falschen Mann, andere erklären, weder den neuen Direktor noch dessen Qualifikation zu kennen. Nun wird der Beirat ohnehin im Herbst neu besetzt, weshalb man im Staatsministerium für Kultur und Medien die Aufregung gar nicht recht verstehen mag. Doch an der Wahl Halders offenbart sich erneut der noch immer ungelöste Konflikt: Was will die Stiftung sein? Überspitzt gesagt eine Institution von Vertriebenen für Vertriebene, wie manch ein Historiker - und nicht wenige in den östlichen Nachbarländern - argwöhnen, oder aber ein internationaler Lernort zur Zwangsmigration in Europa?

Kritiker jedenfalls halten Halder, 52, der seit 2006 die Stiftung "Gerhart-Hauptmann-Haus - Deutsch-osteuropäisches Forum" in Düsseldorf leitet, viel über ein breites Themenspektrum geforscht hat, aber kaum überregional bekannt ist, für einen "Mann, der keine Probleme macht," und einen Kandidaten der Vertriebenenverbände. Bernd Fabritius, der Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen, begrüßte in der Tat die Wahl "ausdrücklich" und freute sich über die Berufung eines "Leiters einer Einrichtung, die sich der Pflege und der Weiterentwicklung des Kulturerbes der Deutschen aus den historischen deutschen Ostgebieten und den deutschen Siedlungsgebieten in Ost- und Südosteuropa verschrieben hat". Allerdings haben die Vertriebenen im Stiftungsrat nur sechs von 21 Sitzen - Halder muss also auch Politiker, Ministeriums- und Religionsvertreter überzeugt haben. Troebst hingegen ließ sich mit den Worten zitieren, es habe Kandidaten gegeben, "die deutlich besser qualifiziert waren als Prof. Halder", und meinte damit seinen Kollegen Schwartz vom Institut für Zeitgeschichte, der sich mit einschlägigen Forschungen einen Namen gemacht, allerdings anders als Halder noch kein Institut geleitet hat.

Viel wird nun davon abhängen, welche renommierten Wissenschaftler, vor allem aus Polen und Tschechien - diese Länder sind momentan nicht mehr vertreten -, sich nach all dem Streit für den neuen Beirat gewinnen lassen. Vertriebenenverbandschef Fabritius betonte, dem Verband sei sehr an einer internationalen Zusammensetzung gelegen.

© SZ vom 02.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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