Geschichte:Der höchste Ritus des Abendlandes

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Karl IV. (1316 - 1378). Initiale aus der Goldenen Bulle. (Foto: picture alliance / akg-images)

Gedränge, Festmahl, Übertreibung: Kaiser Karl IV. , seine Krönung und seine Autobiografie in neuen Ausgaben.

Von Gustav Seibt

Wie ein Kaufmann, der zu einer Handelsmesse reist, so unscheinbar erschien einem Chronisten 1354 der deutsche König Karl, als er durch Norditalien nach Rom zog, um sich dort zum Kaiser krönen zu lassen. Und da dieser Zeitzeuge seine Beobachtungen in Florenz, der damals reichsten Wirtschaftsmetropole Europas, notierte, muss etwas dran sein. Generationen von Historikern, für die Ruhm vor allem in Taten des Schwerts lag, haben es ihm nachgesprochen. "Seine Rom-Fahrt war eine Krönungsreise", schrieb Ferdinand Gregorovius über Karl IV. "Das Kaisertum endete in einer inhaltslosen Formel." Inhaltslos, das meinte hier: ohne realpolitische Folgen für die Herrschaft des Kaisers in Italien.

Der Rom-Zug war mit der Kurie genauestens abgesprochen worden

In der Tat achtete Karl, der böhmische König aus dem Haus Luxemburg, der 1346 zum deutsch-römischen König gewählt worden war und sich zunächst gegen Ludwig den Bayern hatte durchsetzen müssen, peinlich darauf, sich nicht in die italienischen Konflikte hineinziehen zu lassen.

Der Rom-Zug war mit der Kurie, die damals in Avignon residierte, genauestens abgesprochen worden. Ein Kardinalbischof sollte stellvertretend für den Papst an Ostern 1355 die Krönung in Sankt Peter vollziehen, danach durfte der neue Kaiser noch zum Lateran reiten, um ein Festmahl einzunehmen, hatte dann aber bis Sonnenuntergang aus der Ewigen Stadt zu verschwinden. Daran hielt sich Karl IV. Ein Jahr später, 1356, aber erließ er zusammen mit den Kurfürsten jene "Goldene Bulle", die die Wahl der deutschen Könige definitiv regelte - sie galt bis zum Jahr 1806.

Seither hatten die Päpste bei der Besetzung des deutschen Königs- und Kaiserthrons nur noch wenig zu melden. Das Heilige Römische Reich wurde allgemach zu einem Reich "deutscher Nation".

Bezeichnenderweise ist die Krönung von 1355 die am besten dokumentierte Kaiserkrönung des Mittelalters überhaupt. Das lag an ihrer minutiösen diplomatischen Vorbereitung und daran, dass diese von dem Sekretär des federführenden Kardinals in einer eigenen Schrift zusammengefasst wurde, zum höheren Ruhm seines Arbeitgebers Pierre Bertrands, dem Bischof von Ostia, aber auch weil der damals schon fünfhundert Jahre alte sakrale Ritus der Kaiserkrönung reif war für Verrechtlichung und Kodifizierung. Denn natürlich konnte die Kurie in ihren Archiven auf frühere Ordines zur Krönung des Kaisers und der Kaiserin zurückgreifen, um sie der aktuellen Lage anzupassen. Also legte sie im Voraus fest, was zu geschehen habe, und darum ist der Bericht des Sekretärs, eines Jean Porte d'Annonay (lateinisch Johannes Porta de Annoniaco), mehr eine ausführliche Vollzugsmeldung als eine farbige Darstellung. Aktenstücke wechseln sich mit knappen Berichten ab, im Kern aber steht der Krönungsordo, der so tut, als sei der Papst vor Ort.

All das ist hochgradig interessant, aber es ist doch etwas anderes als die schön gemachte Edition suggeriert, die zum 700. Geburtstag Kaiser Karls IV. erschienen ist. Die Übersetzung, begleitet vom kleingedruckten Originaltext, ist flott und überwiegend zuverlässig (sie verrät gelegentlich Unvertrautheit mit stadtrömischer Sozialgeschichte), die Einleitung von Olaf Rader ist gelehrt und gut geschrieben. Sie konzentriert sich auf den eher überschaubaren kulturgeschichtlichen Ertrag - es geht ihr ums damalige Reisen, um den Festakt und die Krönungsinsignien, auch als Reliquien für die Volksfrömmigkeit breiter Schichten -, vernachlässigt aber die eigentliche Bedeutung des Textes als Quelle für die Auseinandersetzungen der Zeit um die Weltinstitution des Römischen Kaisertums.

Nur wenige Jahre zuvor hatte ein aus dem römischen Wirtshausmilieu aufgestiegener Notar namens Cola di Rienzo sich die Parodie einer Kaiserkrönung auf den Leib geschneidert und die beiden deutschen Gegenkönige Ludwig den Bayern und Karl IV. aufs Kapitol vor die römische Volksvertretung zitiert.

Später war dieser Rienzo verhaftet worden und nach Prag gekommen, zu wem? Zu Karl IV., der gerade nach Rom aufbrechen wollte und sich die Reden des intellektuellen Putschisten interessiert anhörte, ihm sogar mit einer eigenen Schrift antwortete, ihn dann aber nach Avignon auslieferte.

Karl IV. nämlich war ebenfalls studiert, als Jüngling in Paris ausgebildet worden, unter anderem von einem späteren Papst. Er beherrschte fünf Sprachen und schrieb im Alter im besten, bibeldurchwirkten Kirchenlatein die erste Autobiografie eines europäischen Herrschers überhaupt. Auch sie wurde jetzt in einer zweisprachigen Ausgabe wiederaufgelegt.

Er konnte also auch die von Jean Porte gesammelten Korrespondenzen selbst lesen, einige der Briefe womöglich selbst schreiben - keine Selbstverständlichkeit für einen mittelalterlichen König. Und er wusste genau, was sich beim Krönungsritus sakralrechtlich abspielte. So leistete der frisch gekrönte Kaiser ausnahmsweise nicht den Strator-Dienst, also das kurze Führen des päpstlichen Pferdes, weil der Papst seinem Stellvertreter diese allerhöchste kaiserliche Demutsgeste dann doch nicht zubilligen wollte.

Inhaltsleer war hier also gar nichts, sondern jede Silbe, jeder Schritt hat eine Resonanz zurück bis zu Karl dem Großen, dem sich Karl IV. schon als Heiligem verpflichtet fühlte. Das tippt Rader an - man müsste es aber im Detail erklären, denn es ist ja bestens erforscht. Dass der Tross des Kardinalbischofs auf seiner Anreise auch bei einem gewissen Grimaldi in Monaco, also den Vorfahren der Caroline, vorbeischaute, ist Rader dafür einen eigenen Hinweis wert; je nun. Interessanter wäre die Frage, ob nicht etliche der von Jean Porte geschilderten Anschaulichkeiten selbst rituellen Charakter haben, eben weil Volksgedränge vor der Kirche, Stau auf der Straße, Tausende Rittererhebungen am Wegrand zu jenen Übertreibungen gehören, ohne die ein Bericht vom höchsten Ritus des Abendlandes nun mal nicht auskommt.

"Wie Blitz und Donnerschlag" ist in solchen gelehrten Texten kaum etwas, das wusste übrigens auch Goethe noch, als er für die Vorbereitung seiner Erzählung von der selbsterlebten Frankfurter Krönung des Jahres 1764 die "Goldene Bulle" Karls IV. heranzog.

Ein geschichtsbewusstes Europa hat allen Grund, sich an diesen Kaiser zu erinnern, weil sein zwischen Paris, Prag, Litauen und Rom ausgespanntes Leben beweist, dass es jene übernationale Verbundenheit, die uns heute angebliche Globalisierungsverlierer wieder ausreden wollen, historisch längst gegeben hat.

Olaf B. Rader (Hrsg.): Wie Blitz und Donnerschlag. Die Kaiserkrönung Karls IV. nach den Berichten des Johannes Porta de Annoniaco. Aus dem Mittellateinischen von Marianna Spano und Ulrike Hohensee. Elfenbein Verlag, Berlin 2016. 160 Seiten, 19 Euro. Vita Caroli Quarti - Die Autobiographie Karls IV. Einführung, Übersetzung und Kommentar von Eugen Hillenbrand. Herausgegeben von Wolfgang F. Stammler. Alcorde Verlag, Essen 2016. 307 Seiten, 36 Euro.

© SZ vom 17.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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