Gegenwartsliteratur:Jenseits der Aktenlage

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Für seinen Roman "Macht und Widerstand" hat Ilija Trojanow jahrelang in bulgarischen Archiven recherchiert - der politische Ertrag des Buches ist am Ende größer als der literarische.

Von Jörg Magenau

Metodi ist ein Vertreter des alten kommunistischen Regimes in Bulgarien. Als Geheimdienstmann hatte er dort jahrzehntelang treue Dienste geleistet und wurde zum Fachmann in Verhörtechnik und Foltermethoden. Seit der Wende verdient er gut als "Biznismann", die alten Kontakte bewähren sich weiterhin. Der kommunistische Macht- und Unterdrückungsapparat ließ sich bruchlos in einen mafiösen Kapitalismus überführen - mit identischem Personal.

Auf der anderen Seite steht Konstantin, ein alter Anarchist, der nach einem Bombenanschlag auf eine Stalin-Statue im Jahr 1953 Gefängnis und Lagerhaft erlitt und anschließend ein Leben als Observierter und Objekt der Staatssicherheit führte. Die beiden kennen sich noch aus der Schule, begegnen sich immer wieder im Lauf der Jahrzehnte, voller Verachtung gegen die Überzeugungen des anderen. "Macht und Widerstand" -so die etwas simple Gegenüberstellung im Titel des neuen Romans von Ilija Trojanow - führt das auf mehr als 400 Seiten durch. Aber der Roman wäre von vornherein gescheitert, wenn er sich nicht mehr vornehmen würde, als lediglich das Gute, Aufrichtige mit dem Bösen, Opportunistischen zu konfrontieren. Denn ganz so einfach ist es nun wahrlich nicht, nicht einmal in Bulgarien.

In Trojanows Roman wird eine Hauptfigur wegen eines Anschlags auf eine Stalin-Statue inhaftiert - in Bulgarien werden Denkmäler popkulturell übermalt. (Foto: Vassil Donev/dpa)

Trojanow ist der bulgarischen Geschichte eng verbunden, die er über ein halbes Jahrhundert hinweg aus dieser Doppelperspektive heraus nachschreibt. Er ist 1965 in Sofia geboren, seine Eltern flohen 1971 nach Deutschland und von dort weiter nach Kenia, wo der Vater als Ingenieur in Nairobi arbeitete. Erst Mitte der 80er-Jahre kehrte Ilija Trojanow nach Deutschland zurück, doch Bulgarien hat er weiter im Reisegepäck. Sein Debüt als Romancier, "Der Weltensammler", war auch sein größter Erfolg; doch den Rezensenten, die nun "Macht und Widerstand" als sein Opus magnum bezeichnet haben, widerspricht Trojanow nicht. Jahrelang hat er Material gesammelt für diesen Roman, in Archiven geforscht und ein eigenes Privatarchiv angelegt, mit zahlreichen Menschen in Bulgarien gesprochen, Opfer des Regimes zumeist, die, wie er sagt, überquellen vor lauter Erzählbedarf. Auf der Seite der einstigen Machthaber hatte er es dagegen schwerer, Gesprächspartner zu finden, bei ihnen war das Schweigebedürfnis stärker ausgeprägt als der Mitteilungsdrang.

Trojanow ist der bulgarischen Geschichte eng verbunden, die er über ein halbes Jahrhundert hinweg nachschreibt. (Foto: dpa)

Seit der Wende verdient Metodi nicht schlecht - er ist jetzt "Biznismann"

Metodi ist allerdings sehr mitteilsam, er spricht unentwegt, wenn auch nur mit sich selbst, sein Rechtfertigungsbedürfnis ist groß. Ausgelöst wird dieser Rededrang durch eine junge Frau, die eines Tages in seiner mit Sicherheitstechnik gespickten Villa auftaucht und sich als seine Tochter ausgibt. Metodi kann oder will sich aber nicht an die Mutter erinnern, die Gefangene in einem Straflager war, in dem er zum Wachpersonal gehörte. Und doch fasst er allmählich Vertrauen zu dieser Tochter, wie er überhaupt eine gar nicht so unsympathische Figur abgibt. Er ist zwar durch und durch verlogen, schafft es aber immer wieder, sich mit Überzeugungen auszustaffieren, und dass es einst, im Kampf gegen den Faschismus, durchaus Gründe gab, zum Kommunisten zu werden, ist ja nicht ganz falsch. Sein Schillern, seine Verschlagenheit, seine mit Zutraulichkeit getarnte Brutalität, seine Berechnung sind jedenfalls interessanter als die eindimensionale Oppositionshaltung Konstantins, dessen gesamte Existenz auf Widerstand und nichts sonst ausgerichtet war und ist.

Ilija Trojanow: Macht und Widerstand. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015. 480 Seiten, 24,99 Euro. E-Book 21,99 Euro. (Foto: N/A)

Konstantin geht seiner eigenen Geschichte anhand von Akten und Verhörprotokollen nach. Doch anders als in Deutschland gab es in Bulgarien keine revolutionäre Inbesitznahme der Stasi-Hinterlassenschaften. Noch heute regeln daher diejenigen, die einst die Akten anlegten, den Zugang zu ihnen. Vielleicht ist von daher auch Konstantins verbissener Glaube nachvollziehbar, in diesem schwer zugänglichen Archivmaterial die Wahrheit finden zu können. Alles, was dann zum Vorschein kommt - und Trojanow dokumentiert eine Menge Akten - ist aber einigermaßen läppisch, bürokratisch, ahnungslos. Und Konstantins Suche, wer von den Verschwörern damals in den Verhören wie viel preisgeben hat, wer wen wann verriet, mag für ihn von Bedeutung sein, ein neuer, durchdringender Blick auf die Geschichte ergibt sich daraus nicht.

In Deutschland - und dies ist ein deutschsprachiger Roman, der auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis steht - sind Stasi-Verstrickungen und DDR-Vergangenheit im Lauf von 25 Jahren gründlich aufgearbeitet worden; die Auseinandersetzung mit dieser Geschichte hat längst ihre eigene Geschichte hervorgebracht. In Bulgarien steht das noch aus, deshalb kann man nur hoffen, dass Trojanows Roman dort eine Debatte anstoßen wird. Konstantin bewirbt sich schließlich um den Vorsitz in einer Parlamentarischen Untersuchungskommission. Das Parlament aber lehnt ihn mit großer Mehrheit ab. So ist dort die Lage. Hierzulande aber recycelt "Macht und Widerstand" Bekanntes mit unbekanntem Material.

Noch heute wird der Zugang zu den Verhörprotokollen von denen geregelt, die sie einst anlegten

Man würde sich wünschen, dass der Roman sich stärker vom Politischen lösen würde und die existenziellen Fragen in den Blick bekäme. Das Problem des Widerständlers, der sein Leben ganz dem Widerstand weiht, liegt ja auf der Hand: Je mehr er sich auf seine Gegner fixiert und auch im Nachhinein auf diese Geschichte fixiert bleibt, umso mehr verliert er aus den Augen, worum es denn eigentlich gehen sollte. Was heißt es, Anarchist zu sein? Was wäre die Alternative gewesen? Davon ist nur wenig zu erfahren. Dass Konstantin so rettungslos an der Vergangenheit hängt und nicht mehr loskommt davon, ist Teil seiner Traumatisierung. Sein eigenes Leben hat er darüber aus den Augen verloren.

Freiheit, so heißt es an einer Stelle, gab es in der Diktatur paradoxerweise nur im Gefängnis und nur dort, wo die Gefangenen ihre Überzeugungen und damit ihre Würde bewahrten gegen die Brutalität der Folterknechte. Das ist ein schöner, frommer Gedanke. Umso mehr gälte es dann aber doch hinterher, frei zu werden von der eigenen Geschichte. Worum geht es in Zukunft? Was ist das gute Leben?

Vor dieser Frage kapitulieren beide, Metodi und Konstantin. Der eine sucht nur den Wohlstand und die Bequemlichkeit und richtet sich in der Lüge ein. Der andere sucht nach der Wahrheit in der Vergangenheit - und vergisst darüber zu leben. Doch von dieser Tragik ist in "Macht und Widerstand" nur wenig zu spüren. Trojanow entkommt nicht der Versuchung, seinen Helden des Widerstands ein wenig zu glorifizieren. Das ist gut, um die historische Aufarbeitung in Gang zu setzen. Das ist zu wenig für einen wirklich gelungenen Roman.

© SZ vom 15.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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