Gegenwartsliteratur:Eine pro Monat

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Wie kam Christoph Höhtkers Roman "Das Jahr der Frauen" nur auf die Longlist zum Buchpreis?

Von Meike Feßmann

Manchmal kommt es ihm so vor, als müsse er seinen Psychotherapeuten besser unterhalten, so gelangweilt und routiniert spult der seine Fragen ab, aber wahrscheinlich spielen sie beide mit gezinkten Karten. Frank Stremmer, PR-Berater in einer Genfer Non-profit-Organisation, stellt sich kränker, als er ist, um einen bezahlten Zuhörer zu haben. Dr. Yves Niederegger gibt sich besorgt, weil es zu seinem Job gehört. Dass Geld praktisch ist, um sich in zwischenmenschlichen Beziehungen jede Verbindlichkeit vom Hals zu halten, ist dem Helden ohnehin klar.

Wie die ersten beiden Romane des 1967 in Bielefeld geborenen und in Genf lebenden Autors, "Die schreckliche Wirklichkeit des Lebens an meiner Seite" und "Alles sehen", dreht sich auch "Das Jahr der Frauen" um Frank Stremmer. Die Drogen-Exzesse und das wilde Leben hat er hinter sich gelassen. Nun dümpelt er mit Anfang vierzig ziemlich unlustig in einem freudlosen Leben herum. Damit die Sache trotzdem in Schwung kommt, hat sich Christoph Höhtker eine Wette ausgedacht, die sein Ich-Erzähler ausgerechnet seinem Therapeuten aufnötigt: Wenn es ihm gelingt, im kommenden Jahr Monat für Monat eine Frau zu "verbrauchen", darf er sich umbringen.

Liebesakt im Präsens - bei dem Eindringen nur die "technische Umschreibung der Vorgänge" ist

Das aufgeregte Hohldrehen des Arbeitsalltags und die gegen Monatsende immer panischer werdende Suche nach einer passenden Frau bilden den mühsam zusammengeklaubten Stoff des Romans. Dass die Frauen nicht bezahlt werden dürfen, kommt erschwerend hinzu. Außerdem wird Stremmer ein Auftrag zugeschanzt, der ihn zwar keinen Deut interessiert, den er aber trotzdem nicht ablehnen kann. Mit einigen Kollegen, von denen am Ende nur der alternde Schwede Erik Lynberg übrig bleibt, soll er die Biografie des Unternehmensgründers Raphael Gonzales-Blanco schreiben. Liz Stevenson, Mitte fünfzig und deshalb für die Sex-Wette außer Konkurrenz, leitet das Team. Sie spricht am liebsten Englisch. Wie der Roman überhaupt den Mischmasch der Sprachen zelebriert: Sein eher einfallsloses Deutsch wird aufgepeppt durch englische Passagen und Floskeln, französische Sprachfetzen (wir befinden uns in Genf), eingefügte E-Mails, erfundene Handzettel (beispielsweise zur Gelbfieberimpfung der Schweizer Gesundheitsbehörde).

Hinzu kommen Kostproben aus Stremmers "Zwiebel-Text", der wohl eines fernen Tages zu so etwas wie Literatur werden soll. Mindestens so überraschend wie Stremmers Eroberungsglück ist die Tatsache, dass Höhtker tatsächlich einen Reigen von zwölf Frauen zusammenbekommt: darunter eine schwedische Konzeptkünstlerin, eine polnische Masseurin, eine deutsche Kellnerin auf Mallorca, eine Judith- Butler-affine alleinerziehende Mutter zweier Töchter und eine Reihe von Frauen, die ihm Tinder "erschreckend effektiv" serviert. Die "unknackbare" Karen Msuva, die als Mitglied der "kenianischen Funktionselite" in Stanford Internationale Politik studiert, ergänzt das Tableau. Und natürlich begegnet ihm am Ende eine Frau, die das Einlösen des Wettgewinns gar nicht mehr reizvoll erscheinen lässt. Der Autor muss also andere Wege finden, seinen Helden aus dem Weg zu schaffen. Auf den Spuren seines Firmenchefs schickt er ihn in die Kampfzonen von Bangui, der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik.

Selten kam ein Misanthrop und Zyniker so einfallslos daher, selten ein Hypochonder so wohlsortiert banal. Vergleicht man Frank Stremmers harmlose Abgedrehtheit etwa mit den flamboyanten Hypochondrien der Helden Ingomar von Kieseritzkys, wirkt sie wie der müde Abklatsch einer längst verbrauchten Kulturkritik. Dass der Held stolz behauptet, "keinerlei soziale Position" zu haben und "Kommunikation in jeder Hinsicht" abzulehnen, aber brav jeden Tag ins Büro tapert, ist ebenso stupide wie die Sprache, die er spricht.

Heillos verheddert sich Höhtker in den Fallstricken des "Jetzt", wenn er seinen Ich-Erzähler auch noch beim Sex im Präsens berichten lässt. Das hört sich dann so an: "Ich denke an Beatas Venushügel und gleich darauf an den von Claudia, während meine Lippen jetzt, nicht einmal 12 Stunden später, über Svenjas feuchtes rotblondes Vlies gleiten. (...) Ich meine, es ist verrückt, ich drang in sie ein, so wie ich gleich, in einigen Minuten und falls mir nicht irgendetwas - ein Gedanke, ein vorbeifliegendes Rotkehlchen, ich - dazwischenfunkt, meine fragile Konzentration sabotiert, in Svenja eindringen werde, wobei Eindringen wirklich nur die rein technische Umschreibung der Vorgänge ist."

Spannend an diesem Roman sind nicht der Plot und die Sprache. Spannend ist nur das Rätsel, wie er auf die Longlist des Deutschen Buchpreises geraten konnte. Noch dazu in einem guten Bücherherbst.

© SZ vom 12.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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