Geburtstag:Große alte Wiener Schule

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Feine Gestik und noble Grazie: Christine Ostermayer. (Foto: imago)

Kleine feine Gesten, mit nobler Grazie gespielt: Egal wo und in welcher bedeutenden Rolle die Schauspielerin Christine Ostermayer auf die Bühne trat - sie begeisterte ihr Publikum. An diesem Donnerstag wird sie achtzig Jahre alt.

Von Christine Dössel

Christine Ostermayer ist eine energische Dame von divenhafter Grandezza. Als sie letzten Sommer bei den Volksschauspielen in Telfs gastierte, ließ sie die SZ-Kritikerin nach der Vorstellung - es war nicht die Premiere - zu sich bitten. Man dachte schon, sie wolle sich bedanken, dass man eigens aus München angereist sei, um sie, die seit Längerem der Bühne Abholde, endlich mal wieder spielen zu sehen. Aber von wegen!

Was im Backstagebereich des Kranewitter-Stadls folgte, jenes Heuschobers, der in Telfs als urige Zweitspielstätte dient, war eine einzige Abkanzelung. La Ostermayer zeigte sich in höchster Erregung und beschwerte sich, dass sich die Kritikerin während der Aufführung Notizen gemacht hatte. Ob man noch alle Tassen im Schrank habe?! Ob man schon jemals in einer Theatervorstellung gewesen sei?! Ob man nicht wisse, welch zerstörerische Wirkung das für ihren Auftritt habe?! Sie kriegte sich fast nicht mehr ein.

Goethes Gretchen, Ibsens Nora, Brechts Polly - sie spielte die unterschiedlichsten Frauenrollen

Nun machen sich Kritiker im Theater eigentlich immer Notizen, aber normalerweise sitzen sie dabei im Dunkeln des Parketts. An diesem intimen Abend im Telfer Stadl jedoch saßen die Zuschauer zwischen dem Dachbodengebälk auf Stuhlreihen, die vis-à-vis angeordnet waren. Dazwischen: eine erleuchtete Schneise - jene Straße symbolisierend, auf der Christine Ostermayer in Georg Ringsgwandls kleinem Stück "Der Hund, der Hund" auf und ab schlenderte und so tat, als würde sie mit dem titelgebenden Tier Gassi gehen. In Wirklichkeit hatte sie in dieser "Sprechoper für ältere Frau, Hund und drei Stimmen" als Hundehalterin Elisabeth Klinger nur eine Leine in der Hand, dafür das Publikum offenbar fest im Blick. Dass sie sich über die Kritikerin mit dem Notizblock erregte, merkte man ihr beim Spielen nicht an. Ostermayer schien ganz bei sich und ihrem Text zu sein, den Gedanken der alten Frau Klinger, die bei ihrem Spaziergang die Banalitäten des Alltags ebenso kommentiert wie ihre Lebenserinnerungen. Sie tat das ohne Sentimentalität, mit feiner Gestik und nobler Grazie, ganz die schöne, stolze Frau, die sie auch im Alter ist. Eine Frau, die man gerne an- und der man gerne zusieht und die man bewundern muss für ihre Sprachpräzision. Alte Wiener Schule, von der Pike auf gelernt.

Christine Ostermayer, geboren 1936 in Wien, trat schon als Siebenjährige im Kindertheater auf und absolvierte eine klassische Tanzausbildung. Mit 16 wurde sie am Wiener Max-Reinhardt-Seminar aufgenommen, aus der angehenden Tänzerin wurde eine Schauspielerin - eine von besonders großer Präsenz bei oft kindlichem Charme. Ihr erstes Engagement hatte die temperamentvolle Wienerin in Essen, wo sie gleich als Julia in Shakespeares "Romeo und Julia" debütierte, danach spielte sie in Wuppertal. Von 1963 bis 1984 gehörte sie zum Ensemble des Bayerischen Staatsschauspiels, vom Münchner Publikum gefeiert und geliebt. Schillers Luise, Goethes Gretchen, Ibsens Nora, Anouilhs Antigone, Brechts Polly, Shaws Johanna, die Berta in Fleißers "Fegefeuer in Ingolstadt" - Ostermayer spielte eine enorme Bandbreite an Rollen. Die größten Erfolge hatte sie in Shakespeare-Komödien, vor allem 1970 als liebesverwirrte Viola in "Was ihr wollt" und, ein Jahr später mit Klaus Maria Brandauer als Petrucchio, als zänkische Katharina in "Der Widerspenstigen Zähmung".

Ostermayer machte danach noch an anderen Theatern Station, in Düsseldorf, Berlin, am Theater in der Josefstadt Wien. Aber München ist ihre Stadt geblieben. Von 1994 an war sie Ensemblemitglied am Volkstheater unter der Intendanz von Ruth Drexel, mit der sie in dem Zwei-Personen-Stück "Späte Gegend" von Lida Winiewicz auftrat: Drexel als einfache Bäuerin, Ostermayer als Wiener Halbjüdin, deren Familie unter den Nazis getötet wurde. Von 1996 bis 2005 erzählten sie, auf einer Bank sitzend, die Lebensgeschichte der beiden starken Frauen - ein riesiger Publikumserfolg.

Auch für Film und Fernsehen arbeitete Christine Ostermayer immer wieder. "Anfang Achtzig" (2013) heißt der preisgekrönte Film von Sabine Hiebler und Gerhard Ertl, in dem sie mit Karl Merkatz ein Liebespaar im hohen Alter spielt. An diesem Donnerstag wird sie nun selber 80. Wie viel Energie sie noch immer hat, bewies sie letztes Jahr in Telfs furios. Der Streit mit der Kritikerin endete versöhnlich - bei einem Gläschen Wein.

© SZ vom 15.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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