Geburtstag:Beschreibung der Macht

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Hans Joachim Schädlich wurde am 8. Oktober 1935 in Reichenbach im Vogtland geboren. In der DDR konnten seine literarischen Werke nicht erscheinen. (Foto: Carmen Jaspersen/dpa)

Im Dezember 1977 hat der Schriftsteller Hans Joachim Schädlich die DDR verlassen; er hat die Macht herausgefordert, indem er sie beschrieb. Zu seinem achtzigsten Geburtstag erscheint das Fragment "Catt".

Von Lothar Müller

Zum Nachlass Friedrich Schillers gehören die Aufzeichnungen für das nie geschrieben Drama "Die Polizei". Es hätte in Paris spielen sollen, vor allem in der Nacht. Eine der Handlungsskizzen: "Polizeispione werden wieder durch andre beobachtet." Im Ostberlin der 1970er-Jahre war dieser Andere Hans Joachim Schädlich. Später hat er in einer paraphrasierenden Umschrift von Schillers Jenaer Antrittsrede "Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?" immer dort, wo bei Schiller "Universalgeschichte" steht, das Wort "Polizeigeschichte" eingesetzt.

Das war in einem Selbstkommentar zu dem Buch "Tallhover", das 1986 erschien, das Porträt des ewigen deutschen Spitzels, dem der Autor eine gedehnte Biografie spendiert, und der also 136 Jahre leben darf, von 1819, dem Jahr der Ermordung Kotzebues und der Karlsbader Beschlüsse, bis 1955, wo er sich in Ostberlin selbst zum Tode verurteilt. Im Dezember 1977 hat Hans Joachim Schädlich Ostberlin verlassen, nachdem er sich mehrfach geweigert hatte, seine Unterschrift unter die Petition für Wolf Biermann nach dessen Ausweisung 1976 zurückzuziehen. Im Rowohlt Verlag war im August 1977 sein Prosaband "Versuchte Nähe" erschienen, mit dem von Günter Grass gestalteten Cover, dem auf dem Rücken liegenden Insekt hinter der zerbrochenen Brille.

Die frühe Prosa Schädlichs fordert die Macht nicht durch Anklage heraus, sondern durch ihre Beschreibung, sie stellt die Rituale der Überwachung und Ausforschung zugleich anonym und vollkommen identifizierbar dar. Etwa, wenn jemand das Brandenburger Tor allzu genau in Augenschein nimmt. Es steht im Grenzgebiet. Es fallen aber in "Oktoberhimmel" die Worte "Brandenburger Tor" und "Mauer" nicht. Es gerät nur ein gewisser H., der im Berlin Heinrich Heines und E.T.A. Hoffmanns auf einem Merkzettel "das Bauwerk am Ende des Platzes, das in Sandstein aufgeführt ist" zeichnet, in die Fänge eines Polizisten.

Wer das Werk durchstreifen will, das seitdem entstanden ist, kann das in der Werkausgabe, die der Rowohlt Taschenbuch Verlag gerade herausgebracht hat, bequem tun: Er wird dem Fabeldichter Äsop begegnen, in "Sire, ich eile" Voltaire, in "Kokoschkins Reise" am Scheideweg der Russischen Revolution stehen, und immer wieder in das Sachsen, Thüringen und Preußen des 18. Jahrhunderts blicken.

Prag im Siebenjährigen Krieg und das namenlose Brandenburger Tor tauchen in dem Fragment "Catt" auf, an dem Schädlich in den frühen Siebzigerjahren arbeitete, der Geschichte einer Taxifahrerin, die zugleich Autorin ist, ihren Alltag beschreibt und ihre verschwundene Freundin sucht, die Kunsthistorikerin Janina. Schädlich gab die Arbeit an dem Text auf, aus den im Marbacher Literaturarchiv lagernden Entwürfen hat Krista Maria Schädlich jetzt das gesamte Fragment rekonstruiert und mit einem Nachwort versehen, das an den Ursprung der Autorschaft Schädlichs zurückführt. Dazu gehörten zum einen die Verhandlungen mit DDR-Verlagen, zum anderen die informellen Treffen von Autoren seit August 1974, an denen in wechselnden Ostberliner Wohnungen Karl Mickel, Sarah und Rainer Kirsch und aus dem Westen Günter Grass, Uwe Johnson, Nicolas Born und Hans Christoph Buch teilnahmen. Und Schädlich, der unpublizierte Autor. An diesem Donnerstag wird er achtzig.

Hans Joachim Schädlich: Catt. Ein Fragment. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Krista Maria Schädlich. Verbrecher Verlag, Berlin 2015. 112 Seiten, 19 Euro.

© SZ vom 08.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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