Gaststätten-Novelle:Blitz und Wolke

Lesezeit: 2 min

Ein Bahnhof, eine Gaststätte. irgendwo in der norddeutschen Provinz. Mario führt sie und guckt durch die Durchreiche in die kleine Welt des Gastraums: "Liebesmüh", ein kleiner Liebestanz von Gerd Fuchs.

Von CHRISTOPH SCHRÖDER

Dass ein Bahnhof ein transitorischer Ort ist, an dem alles flüchtig und ungewiss bleibt, ist keine besonders bahnbrechende Erkenntnis. Aber es kommt ja darauf an, was man damit anfängt. Zumal der Bahnhof in Gerd Fuchs' Novelle die klassische Vorstellung dessen, was an einem Bahnhof geschieht, außer Kraft setzt: Weder kommt hier jemand an, noch fährt jemand weg. Hin und wieder hält ein Zug.

Doch das Entscheidende ist nicht der Verkehrsfluss, sondern die Gaststätte, die von Mario geführt wird. Mario wurde in Deutschland geboren. Als er sieben Jahre alt war, gingen seine Eltern nach Sardinien zurück; mit dreizehn durfte er wieder nach Deutschland, zu seinem Onkel, in dessen Restaurant er schuftete, bevor er hier, irgendwo in der norddeutschen Provinz, sein eigenes Restaurant eröffnete.

Die Gaststätte wird zur Bühne einer Romanze, erzählt von Mario, beobachtet durch die Durchreiche von der Küche zum Gastraum. Ein kleiner, begrenzter Ausblick auf die Welt, ein Guckkasten. Was Mario dort sieht, ist der charmante Tanz einer späten Liebe, eine Umgarnung mit surrealen Zügen.

Da ist Herr Korn, Antiquitätenhändler im Ort, noch nicht lange verwitwet und seit dem Tod seiner Frau Stammgast mit einem Hang zur Schwermut. Und eines Tages schwebt Frau Wolken herein, zwei Rollkoffer hinter sich herziehend, und der berüchtigte Blitz schlägt ein. Das ist ein wenig altmodisch, wie auch die Sprache in "Liebesmüh" sich bewusste Anachronismen leistet (wer benutzt heute noch das Wort "Backfisch" im Zusammenhang mit jungen Frauen?), aber fein ausbalanciert und vor allem mit subtilem Humor inszeniert. Herr Korn und Frau Wolken, verbunden in gegenseitiger Anziehung, immer wieder auseinandergerissen dadurch, dass entweder der oder die eine im richtigen Augenblick das Falsche tut oder sagt. Frau Wolken hat noch einen Ehemann. Der tut ihr leid. Denn im Grunde, so sagt sie, habe sie ein Problem mit Männern: "In der Niederkritisierung des Mannes gipfelt die einzig wahre und richtige Welterleuchtung." Der Zug, den Frau Wolken nehmen will, um von hier zu verschwinden - er wird stets ohne sie abfahren. Und eines Tages sind sie beide verschwunden, so plötzlich, wie sie gekommen sind: Die Villa des Herrn Korn ist verkauft, sein Geschäft geschlossen.

In diesem Augenblick offenbart sich der melancholische Kern der Novelle: Einsam ist in Wahrheit derjenige, der uns das alles erzählt. Mario heißt in Italien "der Deutsche" und in Deutschland "der Italiener". Er hat keine Heimat und keine Freunde und nun auch kein Schauspiel mehr, das er von der Küche aus verfolgen kann. Das Glück der anderen erträgt der Unglückliche nur mit Mühe: "Ich knallte die Klappe zur Durchreiche herunter. Ich hätte es schon viel früher tun sollen."

Gerd Fuchs: Liebesmüh. Novelle. Edition Nautilus, Hamburg 2015. 96 Seiten, 18 Euro.

© SZ vom 06.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: