Gastbeitrag:Leise sein

Vor einigen Jahren besuchte Colm Tóibín mit Philip Roth in New York die Zankel Hall, den kleinen, intimen Konzertsaal unterhalb der Carnegie Hall, in dem hauptsächlich Kammermusik dargeboten wird.

Von Colm Tóibín

Vor einigen Jahren ging ich in New York in die Zankel Hall, den kleinen, intimen Konzertsaal unterhalb der Carnegie Hall in New York, in dem hauptsächlich Kammermusik dargeboten wird. Die ersten der Streichquartette Béla Bartóks sollten gespielt werden. Kurz bevor das Konzert begann, tippte mir ein Mann in der Reihe hinter mir heftig auf die Schulter. Als ich mich umdrehte, sah ich Philip Roth, dem ich bei solchen kleinen Kammerkonzerten ebenso oft begegnet war wie bei literarischen Veranstaltungen. Er grinste mich an. Er war wie ein Kind, das unerwartet aus der elterlichen Obhut entlassen worden war. Er flüsterte: "Hoffentlich sind Sie leise." Ich versicherte ihm, ich werde mich ruhig verhalten. Er grinste wieder. Es war wie eine Verschwörung.

Colm Tóibín , geboren 1955 in Enniscorthy, Irland, ist Schriftsteller. Deutsch von Thomas Steinfeld

© SZ vom 25.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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