Frieze Week:Goodbye, Welt

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London wird wieder britisch. Auf der Frieze beginnt das bittere Abschiednehmen von Internationalität und Offenheit in Europas wichtigster Kunstmetropole.

Von Catrin Lorch

Junge Galerien lassen auf der Frieze ihre Muskeln spielen", heißt es auf der Titelseite der Messe-Sonderausgabe der britischen Art Newspape r. Abgebildet ist ein Junge in Trainingsanzug, er hebt eine Doppelhantel hoch über seinen Kopf. Dort, wo sonst die Gewichte aufgesteckt werden, sind zwei Gipsbüsten befestigt. Es geht in Wort und Bild noch einmal um die Kraftmeiereien des Markts, um die Gentrifizierung der Kunstmetropolen, die junge Händler nach neuen Geschäftsmodellen suchen lässt.

Doch das ist noch der Tonfall der alten Zeit. Seit dieser Woche ist alles anders in der Londoner Kunstwelt. Seit nämlich Premierministerin Theresa May und ihre Innenministerin Amber Rudd am Mittwoch alle Unternehmen dazu aufgefordert haben, ausländische Mitarbeiter aufzulisten und in jedem einzelnen Fall zu begründen, warum ihr Job nicht womöglich besser von einem Briten erledigt werden könne.

Es geht nicht nur um Visa und Gebühren. Seit dem Brexit- Beschluss herrscht ein neuer Geist

Augustas Serpinas, der die Performance "Jousaal (Gym)" inszeniert hat, ist Litauer. Seine Galerie Emalin, erst vor einer Woche gegenüber der U-Bahn-Station Shoreditch High Street eröffnet, wird von einem Österreicher und einer Deutschen geleitet. Ihre Assistentin, die in fließendem Englisch das Konzept der Sauna erläutert, die Serpinas dort installiert hat, kommt aus Polen. Der Kurator, der den Künstler für die junge Sektion der Messe ausgewählt hat, ist ein Schweizer, der in Deutschland ein Ausstellungshaus leitet. Seine Kollegen, die bei den Frieze Talks auf dem Podium sitzen, stammen aus den USA, aus China oder Nigeria und leiten Museen in Italien, Amerika und Deutschland. Und moderiert wird die Runde von einer Australierin.

Noch weist man in den Kojen auf die Vielfalt der teilnehmenden Galerien hin, 25 Länder sind vertreten. Vielfalt zählt: Einer der ersten Verkäufe - so die Assistentin der Galerie David Zwirner - war das Porträt einer Schwarzen, gemalt von dem amerikanischen Künstler Kerry James Marshall. Es wurde in den ersten Minuten für eine Million Dollar an ein Museum in den USA verkauft.

Noch hängt neben einer erotischen Zeichnung von Tracey Emin und hinter dem "Black Sheep", das Damien Hirst in Formaldehyd schwimmen lässt, eine Neuauflage von Andreas Gurskys Boutique-Panoramen. Und in der jungen Sektion Focus ist man stolz auf Werke, die im Dschungel von Lake Atitlán in Guatemala entstanden: von Migrantinnen wie Elisabeth Wild und Vivian Suter, Mutter und Tochter, von denen die eine Collagen klebt, und die andere auf Leinwände malt und sie im Freien ausbreitet, damit das Wetter seinen Teil an der Entstehung hat.

Aber egal wie die Ankündigungen der Regierung zu verstehen sind, die Tage sind gezählt, in denen die Frieze Art Fair sich in ihren weißen Zelten im Regent's Park überzeugend als globales Dorf inszenieren konnte - für die Expats, die Arbeitsnomaden des Finanzmarkts und die Entourage der börsennotierten Weltfirmen. Nationalität? Herkunft? Rasse? Solche Fragen wurden wie Folklore verhandelt, sie gaben der Kunst ein exotisches Flair.

Künftig wird es nicht nur um die Formalitäten und Kosten gehen, die man nach einem Brexit wird einkalkulieren müssen, wenn man sich für die Messe anmeldet - um Zollpapiere, Visa, Auslandsüberweisungen.

Allein die Ankündigung solcher Gesetze und Verordnungen zeugt von einem neuen Geist. Und der wird sich nicht vertragen mit der Weltläufigkeit der zeitgenössischen Kunst, die das Schaufenster dieses internationalen London war, voller bunter, glitzernder Must-Haves, deren aktueller Wert auch bei Auktionen in Mayfair und bei den Ankaufsitzungen der internationalen Freundeskreise der Tate Modern verhandelt wurde.

In Polen protestieren die Künstler gegen die engstirnige Politik. In London bleiben sie stumm

Vor der Frieze gab es im ganzen Land nicht einmal ein Dutzend Galerien. Die Messegründung löste hier nicht nur einen beispiellosen Boom aus, sie erschloss der Kunst auch neue Finanziers - und ein Publikum, das intelligente Pointen schätzte, politische Statements und Events. Eine Szene, die gerne unterwegs war, ihre Künstler bei Biennalen in Venedig, Singapur und Sidney besuchte und zu Galerierundgängen nach Berlin oder New York reiste.

Was wird sich London jetzt in die Auslage stellen? Erst in diesem Herbst fällt auf, an wie vielen Waren das Adjektiv "british" klebt. Die Frage ist, ob die derzeitige Regierung "Contemporary Art" überhaupt als heimisches Produkt verstehen wird. Die Kulturbehörde Arts Council England hat Anfang der Woche bereits angekündigt, die ästhetische Qualität öffentlich finanzierter Projekte evaluieren zu wollen, durch einen ausgetüftelten Fragenkatalog an die Besucher.

Als es bei einem Künstlergespräch im Messezelt wieder und wieder um den Brexit und die Folgen ging - als Anbruch einer neuen Epoche in der britischen Kunstgeschichte, wird Jörg Heiser, der (deutsche) Herausgeber der Kunstzeitschrift Frieze, die auch hinter der Messe steht, allerdings deutlich: Warum akzeptieren das die Künstler in Großbritannien? Er verweist auf Polen, wo sich die Künstler in den letzten Wochen immer wieder bei Protesten und Demonstrationen engagierten. Bevor sie sich in die Schlangen vor Botschaften und Einwanderungsbehörden stellen, wäre es für die Kunst an der Zeit, die Muskeln einmal wirklich spielen zu lassen.

© SZ vom 08.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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