Frauenfigur:Wirrwarr des Ruins

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In der aussichtslosen Liebe der Gattin Potiphars ist das ironische Genie Thomas Manns ganz bei sich. Aber Mann wäre nicht Mann, könnte er das unerbetene sexuelle Drängen nicht hochkarätig in Szene setzen.

Von Sibylle Lewitscharoff

Den Josephsroman habe ich vor etlichen Jahrzehnten mit Begeisterung gelesen. Die Szene, an die ich mich am stärksten erinnere, ist die Verführung des Protagonisten durch Potiphars Weib. Da ist das ironische Genie des Autors ganz und gar bei sich zuhause. Zunächst wird Mut-em-enet durchaus wohlwollend beschrieben. Die Anteilnahme des Autors gilt der jungfräulichen Mondnonne. Aber Thomas Mann wäre nicht Thomas Mann, könnte er das unerbetene sexuelle Drängen einer Frau nicht mit hochkarätiger Ironie in Szene setzen. Zunächst verteidigt er die Mondfrau wie ein mit allen literarischen Wässerchen gewaschener Anwalt. Neinnein, es handele sich bei Mut-em-enets Treiben keineswegs um einen sie gar nicht kostenden Antrag von liederlicher Direktheit, sondern vielmehr um einen späten Schrei aus letzter Seelennot. Hinreißend geschildert ist das müßige Leben dieser Ehrengemahlin des Wedelträgers und Sonnenkämmerers Potiphar, genannt Peteprê. Müßig einerseits, aber zugleich mit tausenderlei Verpflichtungen erfüllt. Das Luxusgewerkel eines pompösen Harem nimmt viel Zeit und Konzentration in Anspruch, enorme Pflege der Leiblichkeit, die im Falle Mut-em-enets aber keineswegs zu einem ausschweifenden Gebaren führt, zumindest nicht vor dem dramatischen Übergriff auf den schönen Joseph, wie Thomas Mann nicht müde wird, zu betonen. Vorgestellt wird sie zunächst als weltkühle Mondnonne. Wenn sich eine haltlose Person vergeht, ist das nicht sonderlich spannend. Aber eine hohe Dame, die sich beim intrikaten Geschäft des Eros radikal entwürdigt, das hat was!

Von ihren Lippen tönt wechselweis Kindergelispel und der rauhe Ruf der Löwin

Beschwerlich und zeitraubend kann auch ein nichtiges Amtsgewerkel sein, das der Schönheit und Weihe dient und nicht den wichtigen Geschäften des Staates. Die oberste Frau des Harems trägt dabei eine besondere Verantwortung. In diesem Zusammenhang lässt der Autor den hinreißenden Begriff von der temperaturlosen Weltlichkeit fallen.

Der junge Osarsiph (so lautet Josephs Name bei den Ägyptern) ist mit seinen dunklen Rahelaugen zum Gaffen schön. Natürlich wird sein ägyptisches Kostüm mitsamt den Armreifen verlockend beschrieben. Es bedurfte nicht zwingend der boshaften Sticheleien des kleinwüchsigen Schmuckputzers Dûdu, um Peteprês Gemahlin auf den jungen Mann aufmerksam zu machen, den ihre Blicke zunächst mit Zorn verfolgen, um sich nur allzubald in schmachtende zu verwandeln. Wunderbare Sätze folgen, in denen Mut-em-enet sucht, der Gefahr ihrer Verfallenheit zu entkommen. Zur Abwehr spricht die Frau mit ihrem Gatten, natürlich nicht direkt, sondern auf seitenlangen Umwegen, die gekonnt das zeremonielle Wörterschweifen am ägyptischen Hof auswalzen. Scharf weist sie darauf hin, dass es sich bei Osarsiph um einen Sklaven handele, der sich zu viele Rechte herausnehme. Doch ihr Gatte lobt den jungen Mann über Gebühr, das Hausgesinde liebt ihn, und Mut kann nicht anders, als ihm verzückt zu lauschen. Schmerz, Eifersucht und Wonne durchzucken sie. Am Ende verweigert sich Peteprê ihrer Bitte, Osarsiph zu verkaufen, und damit nimmt die Liebesnarrheit endgültig Fahrt auf. Plötzlich verfällt die im hochmütigen Ichgefühl ihres Gottesdünkels schwelgende hohe Frau der traulichen Anrede des Du. Schließlich wird vom tückischen Dûdu ein Zettel überbracht, dessen Hieroglyphen ein Ruhebett und das Wort Schlafen vorstellen.

Bei der fundamentalen Begegnung steht die liebesbrünstige Mut nunmehr im Ruch von eher zweifelhafter Schönheit, ihre Gier beschert der unheimlichen Frau die verzerrten Züge des Hexenhaften. Von starken Schenkeln, die sich an einen Besenstiel schmiegen und strotzenden Brüsten ist die Rede, ihr Mund ist winkeltief. Mut-em-enet ist urplötzlich zur Liebesvettel geworden, wahrlich kein schöner Anblick. Doch wunderbar getroffen ist, wie sie in einer Atempause mit überspanntem Lächeln auf den Wirrwarr ihres Ruins hinabstarrt. Von ihren Lippen tönt wechselweis Kindergelispel und der rauhe Ruf der Löwin, kein Wunder, dass dem armen Joseph nichts anderes übrigbleibt, als sich mit Grauen abzukehren. Hexenkünste sind weiter im Spiel, hundsliederlich geht es nächtens zu. Mut lässt nicht locker. Alles weitere ist hinlänglich bekannt, Drangsal und Wut der Frau kennen keine Grenzen. Im entscheidenden Augenblick eines letzten Abwendens von der Entflammten erscheint dem keuschen Joseph das Bild seines Vaters. Die Verlassene bleibt mit einem Gewandstück des Entflohenen zurück. Abschließend sei vermerkt, dass die Geschichte im Roman sich auf 271 Seiten erstreckt. In der Bibel ist ihr ein einziger Abschnitt gewidmet.

Sibylle Lewitscharoff ist Schriftstellerin. 2013 wurde sie mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet.

© SZ vom 26.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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