Französische Literatur:Mit Stöckelschuhen auf dem Gebetsteppich

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Irgendwo in einem Kriegsland des Orients steht eine junge Frau im Metallkäfig vor dem Richter: Saphia Azzeddines furioser Roman über eine widerspenstige Angeklagte.

Von Joseph Hanimann

Am Ende droht die Todesstrafe durch Steinigung, das steht von vornherein fest. Bis dahin bleibt in diesem Buch aber etwas Zeit für die kleinen Siegesmomente der Verzögerungskunst. Und dem Biss des Erzähltalents von Saphia Azzeddine, das in diesen Momenten gedeiht, bieten die gottgefällig frömmelnden Theokratien des Islam wie die selbstgefällig menschenrechtsseligen Demokratien des Westens reichlich Angriffsfläche.

Die junge Frau namens Bilqiss, die da in einem nicht näher genannten Kriegsland des Orients in ihrem Metallkäfig vor dem Richter steht, hat die blühende Fantasie, die Unverfrorenheit und das lose Mundwerk, um das Abstruse ihrer Situation dem nach Strafe geilenden Prozesspublikum so richtig vor Augen führen zu können. Angeklagt ist sie wegen eines blasphemischen Akts. Anstelle des betrunkenen Muezzins ist sie eines Morgens eigenmächtig selber aufs Minarett gestiegen und hat einen etwas anderen Gebetsruf als gewohnt übers Dorf verlauten lassen.

Daneben werden der Frau aber auch ein gutes Dutzend weiterer Sittenwidrigkeiten vorgeworfen wie etwa: Besitz von Stöckelschuhen und Damenunterwäsche, eines Plüschtiers, einer persischen Gedichtsammlung, einer parfümierten Kerze. Dass sie überdies ihren Mann mit der Frittierpfanne erschlagen hat, fällt beim Prozess nicht ins Gewicht, es konnte als Unfall getarnt werden.

Mit ihrem ersten Roman "Zorngebete" wurde die 1979 geborene Franko-Marokkanerin Saphia Azzeddine 2008 sofort berühmt. Ihr zweiter Roman "Mein Vater ist Putzfrau" wurde 2011 verfilmt. Der hier vorliegende sechste Roman bringt ein weiteres Beispiel ihres zwischen Witz und Wut schillernden Erzählstils. Die Geschichte läuft wie am Schnürchen, genauer, an den sechs Kapitelschnurstücken, in denen das Geschehen abwechselnd aus den unterschiedlichen Perspektiven der Beteiligten aufgerollt wird.

Saphia Azzeddine hat ihren Roman in einem imaginären Land angesiedelt. Blick in ein Modegeschäft der arabischen Welt. (Foto: Regina Schmeken)

Der Richter ist hier nicht das Zerrbild einer Autoritätsfigur, sondern ein lebenskluger Mann

Die angeklagte Bilqiss sucht zwischen der Verbitterung in der Gefängniszelle, dem Schmerz von den Peitschenhieben und der Angriffslust im Gerichtssaal noch herauszuschlagen, was das ihr verbleibende Leben an Erheiterung zu bieten hat. Das Übel im Geschlechterverhältnis, da sei sie mit dem Herrn Richter ganz einig, so wirft sie diesem an den Kopf, könne man nur an der Wurzel angehen, doch liege diese nicht im losen Haar der Frauen, sondern in der Unterhose der Männer, da müsse etwas "dezimiert, zerhackt, abgeschnitten, ausgerottet" werden.

Der Richter, der mit solchen Provokationen und dem davon ausgelösten Zorn im Saal zurechtkommen muss, ist zum Glück kein Zerrbild einer Autoritätsfigur, das läge unter dem Niveau dieser Autorin. Er ist vielmehr ein Mann mit Gefühl und Lebensklugheit, ehemals ein einfacher Zimmermann, dem die politischen Ereignisse im Land unverhofft zu sozialem Aufstieg verholfen haben. Bei manchen Äußerungen der Angeklagten kommt ihm sogar spontan das Lachen, das er dann allerdings, um Haltung zu wahren, sofort mit einer ausreichenden Zahl öffentlicher Peitschenhiebe für die Vorlaute abgelten muss. Nachts kommt dieser Mann zur Angeklagten in die Zelle geschlichen, in den Bann gezogen vom widerspenstigen, exzessiven, leidenschaftlichen, absolut freien Wesen dieser Frau, und die beiden spielen gemeinsam "1001 Nacht" im Hinauszögern der Strafvollstreckung.

Saphia Azzeddine: Bilqiss. Roman. Aus dem Französischen von Birgit Leib. Klaus Wagenbach Verlag, Berlin 2016. 173 Seiten, 20 Euro. E-Book 17,99 Euro. (Foto: Verlag)

Dritte im Bunde ist eine aus New York angereiste amerikanische Journalistin, die im Internet auf diese Frau und ihren Prozess gestoßen ist. Als Nachhut der amerikanischen Soldaten, die in diesem Land ein für alle Mal demokratische Ordnung schaffen wollten, will sie ihm und der Welt zumindest die Augen öffnen für Frauen- und Menschenrechte. Und sie ist überzeugt, in diesem Fall die genau richtige Story gefunden zu haben. Nur dass Bilqiss die nach gefühlsdusseligem Kitsch lechzende Amerikanerin schnell durchschaut und ihr freizügig jene Geschichte von geheimer Liebe zwischen ihr und dem Richter serviert, die sie für ihren Menschlichkeitsrausch braucht, "denn diese westlichen Frauen konnten nur das: sich an ihrer eigenen Menschlichkeit berauschen".

Gelungen ist der Roman an den Stellen, wo er sich an den zu großen Selbstverständlichkeiten beidseits der Überzeugungsfronten festbeißt. Die Moralhüter brauchen falsche Geständnisse, die Massen richtige Opfer, die Weltverbesserer hehre Ideale, die westlichen Medien rührende Geschichten.

Saphia Azzeddines Literatur ist eine Literatur der scharfen Strichführung, der Überspitzung, der Parodie, der geschickt konstruierten Handlungsabläufe und der klug ausbalancierten Kontroversen. Vielschichtigkeit, komplexe Profile, ins Geheimnis weisende Schatten, ungelöste Rätsel sind bei ihr nicht zu erwarten.

Das Buch ist anregend, unterhaltsam, aufschlussreich, mag auch der Schluss unglaubwürdig sein. Es hat den bitterscharfen Humor einer literarischen Nachwuchsgeneration, die weiß, dass die beste aller Welten weder in ihrer europäischen Heimat noch in ihrem mehr oder weniger fernen Herkunftsland maßgeschneidert wird. Birgit Leib hat diesen tragikomisch ausgehenden Täuschungsspuk mit Schmiss und Biss übersetzt.

© SZ vom 31.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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